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Chinas neue Seidenstraße

Die antike Seidenstraße war einst Dreh- und Angelpunkt des Handels. Nun belebt China diese alte Route wieder – zwar auf neuen Wegen, aber mit der gleichen Intention einer starken Handelsverbindung. Der Sinologe und Ökonom Prof. Dr. Markus Taube erläutert die Hintergründe des Megaprojekts.

Die „Neue Seidenstraße“ bezeichnet eine seitens der VR China aufgelegte Initiative zur substanziellen Stärkung der Infrastruktur und Konnektivität in Asien und darüber hinaus. Die Initiative wurde erstmals 2013 von Präsident Xi Jinping verkündet. Sie griff bereits 2016 weit über die historische Seidenstraße hinaus und begann wahrhaft globale Dimensionen anzunehmen. Aktuell (06/2022) sind 146 Staaten und Regionen mit bilateralen Verträgen mit der VR China in die Belt & Road Initiative (BRI) eingebunden. Mit Ausnahme Italiens haben die global führenden Industriestaaten allerdings bislang keine BRI-Kooperationsvereinbarungen mit der VR China getroffen.

Die Rahmenbedingungen der Belt & Road Initiative

Die BRI ist ein vielschichtiges Unterfangen, das einerseits einen Aufruf der Asian Development Bank (ADB) aufgreift, die Infrastruktur-Investitionen in Asien massiv auszuweiten. Andererseits bedient sie ein breites Spektrum von Interessen der chinesischen Staatsführung, die von der Erschließung neuer Absatzmärkte und dem Abbau industrieller Überkapazitäten bis hin zum Aufbau von internationalem soft power und der militärischen Sicherung strategisch bedeutsamer Transportrouten und Einflusszonen reicht.

Die VR China hat eine Billion US$ zur Finanzierung von Projekten mit BRI-Partnerländern in Aussicht gestellt, wobei der Großteil dieser Gelder in Form von subventionierten Krediten bereitgestellt worden ist bzw. werden soll. Zu diesem Zweck wurden u. a. der von der VR China eigenständig gemanagte Silk Road Investment Fund und die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) gegründet. An Letzterer hält VR China mit einem gezeichneten Kapital von 29,78 Mrd. US$ 26,5 % der Stimmrechte.

Kern der BRI ist die Herstellung von Konnektivität. In der ökonomischen Dimension sind dies in erster Linie: Straßenverkehr, Eisenbahnverbindungen, Schifffahrt, Gas- und Erdölpipelines, digitale Infrastruktur. Eine zweite wichtige Manifestation der BRI ist die Einrichtung von Industriezonen, die an Knotenpunkten der schienengebundenen oder maritimen Transportkorridore entstehen. Sie bilden Kristallisationspunkte für die Ausbildung neuer industrieller Zentren und ermöglichen Spillover-Effekte in lokale Wirtschaftsgemeinschaften.

Die ökonomischen Chancen für die Partnerländer

In Europa haben insbesondere die im Rahmen der BRI erschlossenen schienengebundenen Transportkorridore zwischen China und Europa große Aufmerksamkeit erfahren. Der schienengebundene Transport erschließt eine spezielle Nische der Transportlogistik, da er in Sachen Kosten und Dauer zwischen Luft- und Seeweg liegt. Auf der Schiene werden so derzeit bis zu drei Prozent des europäisch-chinesischen Warenaustauschs transportiert. Ca. ein Drittel dieses Volumens wird über Duisburg abgewickelt.

An Bahnhöfen und Seehäfen der BRI-Transportrouten sind auf Betreiben chinesischer Akteure mittlerweile über 100 Industriezonen mit unterschiedlichen (agrar-)industriellen Schwerpunkten errichtet worden. Derartige Industriezonen brechen den reinen Transitverkehr zwischen China und Europa auf und erlauben die Einbindung der auf der Wegstrecke liegenden Volkswirtschaften in neue Wertschöpfungsprozesse und arbeitsteilige Strukturen. Dies ist besonders für landlocked Volkswirtschaften in Zentralasien und Afrika von besonderer Bedeutung und trägt zu wirtschaftlicher Entwicklung und Wachstum bei.

Besagte Industriezonen werden i. d. R. von chinesischen Unternehmungen operativ geführt. Zumeist fungieren chinesische Großkonzerne als Anker-Unternehmen, um die sich lokale und ausländische Unternehmen gruppieren. Aufgrund ihrer dominierenden Rolle können chinesische Akteure in den Industriezonen weitgehend ihre institutionellen Strukturen, Technologiestandards, Geschäfts- und Zahlungsverkehrspraktiken durchsetzen.

Die durch die BRI erreichte Steigerung der ökonomischen Konnektivität strahlt auf die Weltwirtschaft als ganze aus. Nach Kalkulationen der Weltbank kann sie die Transportzeiten wie auch die Transportkosten der Weltwirtschaft insgesamt um jeweils ein bis zwei Prozent senken. Entlang der BRI-Transportkorridore liegen diese Effekte bei über zehn Prozent. Wachstumsimpulse der BRI auf das BIP werden von der Weltbank in einer Größenordnung von drei Prozent errechnet. Nach den durch die Corona-Pandemie und dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine bedingten Verwerfungen der Weltwirtschaft können diese Kalkulationen aktuell aber nur als grobe Indikatoren für die Wirkmacht der BRI gewertet werden.

Die Kritik an dem Megaprojekt

Konnektivität auf der Ebene des digitalen Raums wird durch die 2017 von Xi Jinping verkündete „Digitale Seidenstraße“ geschaffen. Im Rahmen derselben engagieren sich chinesische Technologieunternehmen (z. B. Huawei, ZTE, Sensetime) in BRI-Partnerländern bei dem Aufbau moderner (5G) Telekommunikationsnetze sowie digitaler big data Anwendungen etc. Insofern chinesische Anbieter hier oft Technologieführer sind bzw. die respektiven Geschäftsfelder neu begründen, können sie ihre Technologiestandards und Geschäftsmodelle sowie langfristige Pfadabhängigkeiten zu ihren Gunsten etablieren.

Die BRI ist als ein sternförmiges Netzwerk konfiguriert, in dem China die zentrale Position einnimmt und bilaterale Partnerschaften mit Partnerländern eingeht. China positioniert sich somit als Führungsmacht unter den teilnehmenden BRI-Partnerländern und kann eigene Interessen besser durchsetzen als in einem wahrhaft multilateralen Integrationsraum. Die praktische Umsetzung von BRI-Projekten ist z. T. heftiger Kritik unterworfen. Projektaufträge gehen i. d. R. an chinesische Unternehmen; transparente internationale Ausschreibungen finden kaum statt. In den Partnerländern ist es des Öfteren dazu gekommen, dass einheimische Unternehmen durch chinesische Akteure verdrängt wurden. Letztere bauten keine Zulieferkontakte zur lokalen Wirtschaft auf und bezogen sogar ihre Arbeitskräfte aus China. Eine Häufung von BRI-Projekten kann zudem traditionelle Wirtschafts- und Gesellschaftsstrukturen in den Partnerländern zerstören. Auch die Kreditvergabepraxis chinesischer Banken ist Gegenstand heftiger Kritik. Es wird vorgebracht, China betreibe eine debt trap policy, bei welcher Unternehmen und ganze Staaten in die Überschuldung getrieben würden. Diese würde es China ermöglichen, durch die Ziehung von Kreditbesicherungen langfristige Kontrollverträge über Infrastruktureinrichtungen zu erlangen bzw. insgesamt erhöhten Einfluss in betroffenen Staaten ausüben zu können. Tatsächlich existiert entsprechende Evidenz wie z. B. die 99-Jahres Konzession des Hafens Hambantota in Sri Lanka an chinesische Unternehmen. Es kann jedoch nicht von einer grundsätzlichen Strategie gesprochen werden.

Vor dem Hintergrund derartiger Entwicklungen sind in zahlreichen BRI-Partnerländern Protestbewegungen entstanden, die z. T. auch in bewaffnete Unruhen und Anschläge gegen chinesische Einrichtungen mündeten. Der gesellschaftliche Druck führt auf der Ebene der Politik zu geringerer Bereitschaft sich in der BRI zu engagieren und zur Stornierung von BRI-Projekten. Seitens der führenden Industriestaaten sind diverse Programme aufgelegt worden, die Alternativen zu der chinesische BRI schaffen sollen. Diese beinhalten das Global Gateway Programm der EU und das Build Back Better World (B3W) Programm der G7 unter Führung der USA. Letztere sind allerdings 2022 noch nicht voll aufgesetzt und funktional.

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