Globale Krisen, eine weiterhin schwächelnde Konjunktur und eine sich selbst zerlegende Regierung – das Jahr 2024 war voller wirtschaftspolitischer Herausforderungen, resümiert Wirtschaftsjournalist Jan Wittenbrink.
Zu Beginn dieses Jahres hofft die deutsche Wirtschaft auf Erholung: Nachdem das Vorjahr noch ganz von den Folgen der Energiekrise und Inflation geprägt war, prognostizieren die fünf führenden deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute für 2024 ein Wachstum des bereinigten Bruttoinlandsprodukts (BIP) von immerhin 1,3 Prozent. Doch bereits im ersten Quartal rutscht das reale BIP im Vergleich zum Vorjahreszeitraum wieder ins Minus. Vor allem der Handel mit dem Ausland schwächelt: Laut Statistischem Bundesamt exportieren deutsche Unternehmen in den ersten drei Monaten des Jahres im Vergleich zu 2023 fast drei Prozent weniger Waren und Dienstleistungen.
Streikmonat März
Im Inland herrscht derweil für viele Reisende Stillstand: Schon im Januar fallen wegen Streiks der Lokführergewerkschaft GDL viele Züge aus. Im März kommt es dann zu beinahe wöchentlichen, teils sehr kurzfristigen Arbeitsausständen im Bahnverkehr – und auch Flugreisende müssen sich auf Streiks beim Boden- sowie Kabinenpersonal einstellen. Die Deutsche Bahn scheitert mehrmals vor Gericht mit Eilanträgen, die Streiks abwenden sollen. Ende März einigen sich die Parteien dann auf einen neuen Tarifabschluss. Auch die Lufthansa sichert ihren Beschäftigten verbesserte Bezüge zu.
Während die Züge wieder rollen, will die Bundesregierung die Weichen für neues Wachstum stellen. Der Bundesrat stimmt dem sogenannten Wachstumschancengesetz der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP zu, mit dem Unternehmen durch milliardenschwere Steuerentlastungen und den Abbau von Bürokratie entlastet werden sollen. Voraus ging ein Streit mit CDU und CSU, die ihre Zustimmung mit besonderen Entlastungen für die Agrarbranche verknüpften. In den Monaten zuvor hat es medienwirksame Bauern-Protestfahrten mit Traktoren gegen die Streichung der Subventionen für Agrardiesel gegeben.
Korrigierte Prognosen
Kaum hat das Gesetz den Bundesrat passiert, korrigieren die Wirtschaftsinstitute ihre Wachstumsprognose Ende März drastisch nach unten auf nur noch 0,1 Prozent. Die Produktivität trete auf der Stelle, so die Institute – und das schon seit dem Beginn der Corona-Pandemie im Jahr 2020, auf die unmittelbar der russische Angriffskrieg in der Ukraine folgte. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) konstatiert: In keinem großen westlichen Industrieland laufe die Konjunktur schlechter als in Deutschland.
Im April verständigt sich die Regierung auf eine lange umstrittene Reform des Klimaschutzgesetzes: Klimaziele sollen in Zukunft sektorübergreifend eingehalten werden. Damit steigt zwar die Gesamtverantwortung der Regierung fürs Klima. Allerdings hat es nun weniger Folgen, wenn einzelne Sektoren wie Verkehr oder Gebäude Ziele beim CO2-Ausstoß verfehlen. Der Umweltverband BUND kritisiert den Schritt. Gleichzeitig verabschieden die Ampel-Parteien ein Paket zur Förderung der Solarindustrie, die in diesem Jahr einen Boom erlebt. Der Anteil der Erneuerbaren Energien im Strommix liegt im ersten Halbjahr erstmals über 60 Prozent.
Schwer angeschlagen ist dagegen die Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof. Zu Beginn des Jahres hat das Unternehmen erneut Insolvenz angemeldet, im Mai stimmen die Gläubiger dann dem Sanierungsplan und einer Übernahme durch ein Investorenkonsortium zu. 1.400 Beschäftigte sollen ihren Job verlieren, doch eine Zerschlagung ist abgewendet. 16 von 92 Filialen schließen – für die Großimmobilien in oft zentraler Innenstadtlage braucht es nun neue Nutzungskonzepte.
Gesenkter Leitzins
Die Immobilienbranche blickt seit Beginn des Jahres gespannt nach Frankfurt: Viele Marktteilnehmende hoffen auf eine Zinswende der Europäischen Zentralbank (EZB), nachdem die Bauzinsen ab 2022 kräftig nach oben geklettert waren. Im Juni ist es dann so weit: Die EZB senkt den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent, später folgen zwei weitere Senkungen bis auf 3,25 Prozent. Das wirkt sich mit etwas Verzögerung auch auf die Bauzinsen aus, die zumindest leicht sinken und Immobilienkäufe wieder erschwinglicher machen.
Währenddessen fiebern viele Deutsche der Fußball-Europameisterschaft im eigenen Land entgegen: Am 14. Juni beginnt das Turnier mit dem Eröffnungsspiel zwischen Deutschland und Schottland. Auch die Wirtschaft hofft auf einen Stimmungsumschwung sowie hohe Umsätze für Hotels, Gastronomie oder Sportartikelhersteller. Am Ende zieht der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga ein gemischtes Fazit – demnach verzeichneten nur rund acht Prozent der Unternehmen im Gastgewerbe positive Impulse.
Debatten um Schuldenbremse
Während im Land nach dem EM-Aus der Nationalelf gegen Spanien Katerstimmung herrscht, verkündet die Regierung, auch 2025 an der Schuldenbremse festhalten zu wollen. Vor allem die SPD hat zuvor auf mehr Spielraum für Investitionen gedrängt, unter anderem wegen der Belastungen durch den Krieg in der Ukraine.
Geld fehlt auch beim Verkehr und dem Ausbau der Infrastruktur: Eine Sonderkonferenz der Landesverkehrsminister beschließt, dass das Deutschlandticket für den bundesweiten Nahverkehr ab 2025 neun Euro teurer wird. Und am 11. September stürzt mitten in der Nacht die Carolabrücke in der Dresdener Innenstadt ein – nur mit Glück bleibt eine tödliche Katastrophe aus. Der Einsturz löst eine Grundsatzdebatte über den Zustand öffentlicher Infrastruktur aus. Der deutsche Städte- und Gemeindebund fordert eine „Investitionsoffensive“, um den Verfall zu stoppen. Rund die Hälfte der über 60.000 deutschen Brücken sei in keinem guten Zustand.
Krisenstimmung herrscht auch in der Industrie. Am 28. Oktober platzt bei Deutschlands größtem Autobauer die Bombe: Volkswagen plant, mindestens drei deutsche Werke zu schließen und Zehntausende Stellen zu streichen. VW macht zwar noch Gewinne, die Nachfrage im wichtigen asiatischen Markt sinkt aber stark – chinesische Hersteller von Elektroautos laufen den Wolfsburgern dort den Rang ab. Auch beim US-Hersteller Ford sollen fast 3.000 Arbeitsplätze in Deutschland wegfallen. Ähnliche Nachrichten gibt es bei Zulieferern wie Bosch und ZF Friedrichshafen. Und auch der Essener Stahlriese Thyssenkrupp reagiert auf die Nachfrageschwäche: Geplant ist, bis 2030 5.000 Jobs zu streichen und 6.000 weitere auszulagern. Die Gewerkschaft IG Metall kündigt „erbitterten Widerstand“ an. Beobachtende sprechen bereits von einer „Deindustrialisierung“ Deutschlands.
Trump-Wahl und Ampel-Aus
Am Mittwoch, den 6. November überschlagen sich dann die Ereignisse. Deutschland wacht mit der Nachricht des Siegs von Donald Trump bei der US-Präsidentschaftswahl auf. Für die deutsche Wirtschaft bedeutet das neue Unsicherheiten auf einem der wichtigsten Exportmärkte, ist der Ex-Präsident doch ein Verfechter von Handelsbeschränkungen und dem Motto „America First“. Auch beim Klimaschutz gilt Trump als Bremser. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) spricht vom „ökonomisch schwierigsten Moment in der Geschichte der Bundesrepublik“. An der Börse sind es die Aktien der Autobauer, die wiederum besonders empfindlich auf die Nachrichten aus den USA reagieren – es drohen Strafzölle auf europäische Autos.
Noch am selben Abend steht dann plötzlich die deutsche Hauptstadt im Fokus. Bundeskanzler Olaf Scholz tritt in Berlin vor die Presse und kündigt mit markigen Worten an, Finanzminister Christian Lindner (FDP) entlassen zu wollen. Es ist das Ende der Ampel-Regierung – zuvor haben sich die Streitereien zwischen den Koalitionären über Wochen zugespitzt. Eines der zentralen Streitthemen: die Schuldenbremse. Im Februar stehen nun vorgezogene Bundestagswahlen an. Der Wahlkampf ist eröffnet – und die deutsche Wirtschaft muss mit vielen Unwägbarkeiten umgehen. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) erwartet auch für 2025 kein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts.
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