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Zwischen Abitur und Werkbank: Eine Tischlerin, ihr Weg und die Herausforderungen

Wie kann bereits früh der Grundstein für die berufliche Entwicklung von Schüler:innen gelegt werden? Johanna Röh, selbstständige Tischlerin und Gast unseres Podcasts für Sek I, berichtet in diesem Interview, wie sie ihren Weg zur Tischlerei gefunden hat. Sie teilt ihre Wünsche für die Berufsorientierung der heutigen Generation mit Blick auf eine Selbstständigkeit und spricht über die Herausforderungen, denen sie als Frau in einem männerdominierten Beruf begegnet.

Sie haben in Ihrer Schule in Hessen die Möglichkeit gehabt, neben dem Weg zum Abitur auch eine Lehre zur Tischlerin zu machen. Was hat Sie dazu inspiriert und wie verlief Ihre Ausbildung parallel zum Abitur?

Johanna Röh: Ich fand den Werkstoff Holz schon immer sehr spannend. Schon in meiner Kindheit beim Spielen habe ich mir oft vorgestellt, wie man aus Holz etwas Cooles bauen kann. Dann entschied ich mich für eine Ausbildung parallel zum Abitur. Der Alltag in der Tischlerei gefiel mir sofort. Es war für mich keine bewusste Entscheidung, sondern eine, die sich durch das Interesse am Material und die Möglichkeit, parallel zur Schule eine Ausbildung zu machen, ergeben hat. Die Ausbildung während der Schulzeit war ideal für mich, weil ich mich nicht zwischen dem Abitur und einer praktischen Ausbildung entscheiden musste. Es ermöglichte mir, beide Wege gleichzeitig zu gehen und so einen fließenden Übergang in die Berufswelt zu schaffen.

Abitur und eine Ausbildung zu machen ist eher selten. Gab es Vorbilder oder Momente, die Ihre Entscheidung beeinflusst haben, und wie wichtig waren diese für Sie?

Röh: Ich hätte gerne Vorbilder gehabt, die diesen Werdegang hatten. Das hat mir zwischendurch gefehlt. Vorbilder und Ermutigung wären sehr hilfreich gewesen, um mehr Unterstützung zu haben. Es war oft schwierig, ohne jemanden, der einen ähnlichen Weg gegangen ist, Orientierung zu finden. Die Möglichkeit, mit solchen Personen zu sprechen, hätte sicherlich geholfen, meine Entscheidung zu festigen und mir mehr Mut für diesen Weg zu geben.

Wie sehen Sie die Förderung handwerklicher Berufe in Schulen und was könnte aus Ihrer Sicht verbessert werden?

Röh: Es sollte mehr Informationen und Fokus auf die Praxis geben, insbesondere in Gymnasien. Handwerkliche Berufe erfordern sowohl theoretisches Wissen als auch praktische Anwendung. Es gibt noch eine große Diskrepanz zwischen dem Stereotyp handwerklicher Berufe und der Realität. Schulen sollten mehr praktische Komponente und Vorbilder einbinden, um die Realität des Berufsalltags besser darzustellen. Es ist wichtig, dass Schüler:innen durch Praktika und praxisnahe Projekte frühzeitig die Möglichkeit haben, verschiedene Berufe kennenzulernen und die Anforderungen zu verstehen.

Sie haben als Frau den eher ungewöhnlichen Weg ins Handwerk gewählt. Haben Sie persönliche Hürden aufgrund Ihres Geschlechts erlebt und wie gehen Sie damit um?

Röh: Ja, die Hürden sind real und es ist oft subtil, wie frau weniger ernst genommen oder in Planungen einbezogen wird. Es gibt Vorurteile und eine objektifizierte Darstellung von Frauen im Handwerk. Zum Beispiel hängen in manchen Werkstätten immer noch Pin-up-Kalender. Der Umgang muss noch respektvoller werden. Trotz dieser Herausforderungen sehe ich jedoch, dass das Handwerk an einem Wendepunkt steht, an dem achtsamere Umgangsformen und eine inklusivere Kultur Einzug halten. Die meisten merken auch, dass diese alten Umgangsformen und dieses Credo „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ ausgedient hat. Ich glaube tatsächlich, dass wir es gerade hinbekommen, dass hochmotivierte Menschen ins Handwerk kommen und auch bleiben können und dort eine Heimat finden. Es ist wichtig, sich nicht verunsichern zu lassen und auf sich selbst zu hören.

Was sagen Sie als Tischlerin mit eigenem Betrieb: Welche Rolle spielen Praktika in der Berufsorientierung und wie könnten sie verbessert werden?

Röh: Praktika sind sehr wichtig, um die Praxis kennenzulernen. Programme, bei denen Schüler:innen mehrere Berufe ausprobieren können, sind besonders hilfreich. Schulen sollten mehr solcher Praktika anbieten und sicherstellen, dass sie vielfältige und reale Einblicke in verschiedene Berufe bieten. Beispielsweise habe ich an einem Projekt teilgenommen, bei dem Schüler:innen innerhalb von zwei Wochen verschiedene handwerkliche Berufe kennenlernen konnten. Darunter waren ein Stuckateur, eine Steinmetzin und ein Schmid. Solche Erfahrungen sind wertvoll, um ein umfassenderes Bild vom Arbeitsalltag zu bekommen und fundierte Entscheidungen für die eigene berufliche Zukunft treffen zu können.

Welche Maßnahmen könnten Schulen ergreifen, um Mädchen und Jungen gleichermaßen für handwerkliche Berufe zu begeistern?

Röh: Es ist wichtig, Eigenschaften nicht nach Geschlechtern zuzuordnen und die Sprache wie auch die bisherige Praxis weiterzuentwickeln. Lehrkräfte sollten dafür sensibilisiert werden und Geschlechterstereotype abbauen. In manchen Fällen kann es hilfreich sein, geschlechtergetrennt zu unterrichten, um Mädchen Raum zu geben, sich auszuprobieren, ohne sich verunsichern zu lassen. Jungen haben oft auch einen Vorsprung in handwerklichen Tätigkeiten, da sie zu Hause öfter dabei an die Hand genommen werden. Schulen sollten darauf achten, dass Jungen und Mädchen gleichermaßen an praktischen Aufgaben teilnehmen. Man muss sich auch bewusst sein, dass der Berufsalltag nochmal sehr viel vielschichtiger ist, als einem oft bewusst ist. Ich stehe nicht den ganzen Tag an der Kreissäge oder auf der Baustelle. Man kann auch innerhalb des Berufsbildes nach persönlichen Vorlieben seine eigene Rolle finden. Es wäre auch sinnvoll, mehr weibliche Vorbilder in handwerklichen Berufen zu präsentieren und Schüler:innen die Möglichkeit zu geben, sich mit ihnen auszutauschen.

Gibt es besondere Eigenschaften oder Fähigkeiten, die Sie in der Schule entwickelt haben, die Ihnen jetzt im Beruf helfen?

Röh: Ich habe in der Schule Fähigkeiten entwickelt, die mir jetzt im Beruf sehr nützlich sind. Besonders Fächer wie Werken, Mathe und Deutsch haben mir geholfen. Mathe ist zum Beispiel wichtig für das Berechnen von Flächen und Materialien, während Deutsch mir hilft, mich schriftlich gut auszudrücken, wenn ich mit Kunden kommuniziere. Ein sehr wichtiger Lernprozess ist auch zu lernen, wie etwas, dass ich plane auch in der Praxis umgesetzt werden kann. Darüber hinaus hat mir die Möglichkeit, selbstbestimmt zu arbeiten und meine Aufgaben eigenständig zu organisieren, sehr dabei geholfen, in meiner Selbstständigkeit erfolgreich zu sein.

Welchen Tipp bzw. welche Empfehlung mit Blick auf Ihren Werdegang und Ihre Erfahrungen würden Sie Lehrkräften mitgeben, um Einblicke in die Praxis zu geben und den Austausch darüber im Unterricht zu fördern?

Röh: Projektwochen oder AGs sind oft ein guter Einstieg, um eigenständiges Arbeiten zu fördern. Es ist wichtig, praktische Erfahrungen so früh wie möglich in den Schulalltag zu integrieren. Auch externe Berufstätige können den Unterricht bereichern und direkte Einblicke in die Arbeitswelt geben. So können Schüler:innen besser verstehen, was die verschiedenen Berufe in der Praxis bedeuten. Außerdem bietet es den Schüler:innen die Möglichkeit auf Berufsfelder aufmerksam zu werden, die sie nicht selbst auf dem Schirm haben.

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