Ob Kontaktbeschränkungen oder Lockdown: Maßnahmen zur Beschränkung der Corona-Pandemie treffen viele Menschen. Arbeitnehmer etwa fürchten nach wie vor Einkommenseinbußen oder gar Arbeitslosigkeit. Erste Daten stimmen vorsichtig optimistisch: Der deutsche Sozialstaat konnte in den vergangenen Monaten viele Härten abfedern – das Material des Monats der Sekundarstufe II greift die zentralen Maßnahmen des milliardenschweren Konjunkturpaketes auf. Je länger die Krise anhält, desto stärker geraten die bewährten Instrumente allerdings unter Druck, analysiert Wirtschaftsjournalist Manuel Heckel.
Als das Corona-Virus die USA im Frühjahr 2020 erreichte, legte es vielerorts das öffentliche Leben und die Wirtschaft lahm. Und im dortigen „Hire and Fire“-System entließen viele Arbeitgeber ihre Angestellten kurzerhand. Von 4,4 Prozent im März stieg die Arbeitslosenquote auf 14,7 Prozent im April. Mittlerweile aber hat sich dieser Wert wieder mehr als halbiert. Genauso schnell wie Arbeitsverträge aufgelöst wurden, stellten die Unternehmen auch wieder ein, als es Lockerungen gab.
Solche Ausschläge gab es in Deutschland nicht. Zum Jahresende lag die Arbeitslosenquote hierzulande bei 5,9 Prozent – nur 0,6 Prozentpunkte höher als Anfang 2020, als Corona noch eine unbekannte Lungenkrankheit im fernen China war. Diese Kennzahl wirft ein Schlaglicht auf die Versuche des deutschen Staates, Einbußen abzufedern. Zahlreiche etablierte Instrumente der Politik kamen in der Krise auf den Prüfstand, einige neue Maßnahmen kamen dazu. Auf rund 130 Milliarden Euro summieren sich die einzelnen Elemente des Konjunkturpaketes, das im Sommer 2020 verabschiedet wurde.
Viele Vorhaben zahlen dabei auf die klassischen Ziele eines Sozialstaates ein: insbesondere Hilfe gegen Not und Armut und für soziale Gerechtigkeit. Im Grundgesetz ist in Artikel 20 festgelegt, dass die Bundesrepublik „ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ ist – wie der genau ausgestaltet wird, ist jedoch Sache der Politik.
Puffer in der Pandemie
Eine Bilanz der bisherigen Schritte ist heute noch nicht möglich. Nicht zuletzt deshalb, weil Deutschland immer wieder nachsteuert, um die Zahl der Infizierten und Erkrankten im Griff zu behalten. Ökonomen zufolge könnte sich der milliardenschwere Einsatz jedoch bereits gelohnt haben: „Der Regierung ist es gelungen, die finanziellen Verluste der Bürger durch eine ganze Reihe von Sozialmaßnahmen massiv abzufedern“, schreiben etwa die Wirtschaftsforscher des IW Köln.
In einer aktuellen Studie des arbeitgebernahen Instituts sieht sich zwar ein Viertel der 1.200 Befragten subjektiv in einer schlechteren Finanzlage als vor der Corona-Pandemie. Jedoch tatsächlich statistisch sind die Auswirkungen gering: Zwar sei das erwirtschaftete Einkommen pro Haushalt durchschnittlich um 102 Euro zurückgegangen, haben die Ökonomen errechnet, doch die staatliche Unterstützung fing einen großen Teil dieser Einbußen auf: So habe sich das verfügbare Einkommen je Haushalt im Schnitt um gerade einmal zwölf Euro verringert.
Kurzarbeit trägt durch die Krise
Einen zentralen Beitrag leistet das sogenannte Kurzarbeitergeld, das bereits vor der Pandemie in Krisenzeiten zum Einsatz kam. Mit diesem Instrument ersetzt der Staat einen Großteil des ausgefallenen Lohns, wenn Arbeitnehmer weniger oder gar nichts zu tun haben. Im April wurde für sechs Millionen Beschäftigte Kurzarbeit angemeldet, aktuell ist die Zahl auf knapp zwei Millionen gesunken. Im Frühsommer besserte der Bund die Bedingungen sogar noch nach: Wer länger als drei Monate in Kurzarbeit geschickt wird, erhält für die ausgefallene Arbeitszeit nun 70 statt 60 Prozent des Einkommens – nach einem halben Jahr steigt dieser Wert sogar auf 80 Prozent. Zudem wurde die Bezugsdauer von 12 auf maximal 21 Monate verlängert. Die Idee: Unternehmen halten durch die staatliche Unterstützung an den Stellen fest. Für sie kann es günstiger sein, einige Monate trotz fehlendem Arbeitspensum ihre Fachkräfte weiter zu bezahlen, als nach der Krise neue Mitarbeiter zu finden und anzulernen. Das Risiko: Manche Unternehmen könnten die großzügig gewährte Unterstützung nutzen, um sich den Lohn vom Staat bezuschussen zu lassen. Gerade Firmen, die bereits vor Ausbruch der Pandemie in finanziellen Schwierigkeiten waren, könnten sich so noch einige Monate über Wasser halten. „Gelegentliche Mitnahmeeffekte“ könne es geben, räumt auch Dieter Scheele, Präsident der Bundesagentur für Arbeit (BA) in einem Interview ein. Dennoch lässt sich der Staat dieses Instrument viel kosten – denn im Fall von Massenentlassungen wären enorme Ausgaben für das Arbeitslosengeld fällig. Die BA gab nach eigenen Angaben im Jahr 2020 etwa 20 Milliarden Euro für das Kurzarbeitergeld aus, im Vergleich zu 157 Millionen Euro im Jahr 2019.
Weniger Einkommen, mehr Hilfsangebote
Viele Ökonomen finden lobende Worte für dieses teure Paket: „Die Kurzarbeit funktioniert wie geplant, wie ein Stoßdämpfer am Auto“, sagt Andreas Peichl, Leiter des Zentrums für Mikroökonomik und Befragungen beim Wirtschaftsforschungsinstitut ifo. Eine gemeinsame Studie mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der BA kommt zu ähnlichen Erkenntnissen wie die Forscher des IW Köln. Als Stütze gab es im Herbst bundesweit einen Kinderbonus von 300 Euro, vor allem Familien mit niedrigem Einkommen helfen sollte. Für diese Zielgruppe wurde außerdem der Zugang zum „Kinderzuschlag“ erleichtert, eine Zusatzzahlung zum Kindergeld.
Insgesamt hätten Haushalte mit geringem Einkommen sogar profitiert durch die verschiedenen Maßnahmen, findet die gemeinsame Studie von ifo und IAB. Ihre Finanzen hätten sich leicht verbessert. Wer mehr verdient, müsse dagegen Einbußen verkraften. Mit seinen Antworten auf die Krise sorge der Sozialstaat dafür, dass sich die Einkommensungleichheit in Deutschland derzeit nicht weiter verschärfe, so die Wirtschaftswissenschaftler.
Nachbesserungen nötig
Doch die Forscher halten auch fest: „Wie sich die Krise in den kommenden Jahren auf die Einkommensverteilung auswirkt, hängt entscheidend davon ab, wie sich die krisenbedingten Beschäftigungsausfälle und die finanziellen Unterstützungsleistungen für die Bevölkerung weiterentwickeln.“ Die Krux der Politik: Instrumente wie Kurzarbeitergeld oder ein Kinderbonus helfen Wirtschaft und Bürgern in der Breite. Und scheinen im Schnitt auch ihren Zweck zu erfüllen. Doch zum einen sind sie als Nothilfe für einen begrenzten Zeitraum ausgelegt – und irgendwann werden Entlassungen unausweichlich. Und zum anderen gilt: Je kleinteiliger Krisenmaßnahmen werden, desto individueller müssen die Reaktionen des Sozialstaates aussehen.
Das stellt die Politik vor die große Herausforderung, in kurzer Zeit gerechte Hilfsinstrumente zu entwickeln. Die lange anhaltende Krise zeigt so auch systematische Lücken im System des Sozialstaates auf. Ein Beispiel dafür sind die Hilfen für Solo-Selbstständige aus der Kultur, die massiv von Corona betroffen sind. Kurzarbeit konnten sie für sich selbst nicht anmelden, sondern lange Zeit nur Zuschüsse für ihre Betriebskosten erhalten. Wer überwiegend von der eigenen Wohnung aus arbeitete, erhielt so monatelang kaum Unterstützung des Staates. Erst kurz vor Weihnachten wurde flächendeckend ein sogenannter „Unternehmerlohn“ beschlossen, der auch diese Selbstständigen durch die Krise tragen soll.
Werden längerfristig bestimmte Branchen lahmgelegt, um die Pandemie einzudämmen, könnten mehr solcher zugeschnittenen Hilfsprogramme vom Staat gefordert werden. Politik und Behörden müssten dann unter Druck nachbessern – und gleichzeitig die Verschuldung im Blick behalten.