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Ein Schubs in die „richtige“ Richtung?

Wie treffen wir unsere Entscheidungen und was beeinflusst uns dabei? Verhaltensökonom und Wirtschaftsethiker Prof. Dr. Dominik Enste von der TH Köln widmet sich passend zum Material des Monats dem Thema Nudging und geht dabei auch auf dessen Einsatz bei Fragen wie Organspende und Klimaschutz ein.

Die Basis des Nudging

Der klassische ökonomische Ansatz basiert auf dem Verhaltensmodell des „Homo Oeconomicus“. Dieser entscheidet rational, frei von Emotionen, maximiert im vorgegebenen Budget seinen Nutzen und verfügt im Grundmodell über vollständige Informationen über Märkte und Preise. Der Mensch jedoch entschiedet nur begrenz rational und macht Fehler in der Informationsaufnahme und -verarbeitung. Darüber hinaus „leidet“ er unter begrenzter Willenskraft und trifft somit kurzfristige Entscheidungen, obwohl er weiß, dass ihm diese langfristig schaden. Dieses Verhalten erklärten Kahnemann und Tversky in den 70ern damit, dass Menschen in Entscheidungssituation oftmals eine mentale Abkürzung nehmen. In Experimenten wurde wiederholt beobachtet, dass Probanden ihre Entscheidungen nicht im Einklang mit den fundamentalen Gesetzen der Logik oder Statistik treffen. Die stattdessen benutzten kognitiven Abkürzungen, sogenannte „Heuristiken“, sind Daumenregeln, die Menschen heranziehen, um Entscheidungen zu treffen. Dieses Vorgehen ist ein evolutorisch sehr altes Muster, das für das Überleben vorteilhaft war und sich bewährt hat. Einerseits kann es dabei helfen, schnell Entscheidungen zu treffen und Urteile zu fällen, ohne viel Zeit für die Recherche und Analyse von Informationen aufwenden zu müssen. Andererseits können Heuristiken aber auch zu Fehleinschätzungen, Fehlentscheidungen, voreingenommenen Urteilen und kognitiven Verzerrungen führen, den sogenannten „Biases“. Im Alltag können kognitive Abkürzungen bewusst durch Nudging aktiviert werden, um wünschenswerte Ergebnisse zu erzielen.

Die bekannteste Art von Nudging ist die Vorgabe von Standards, sogenannte Defaults, eine selbstgesetzte oder gesellschaftlich vorgegebene Voreinstellung. Dabei wird die Ausgangslage beeinflusst, ohne aber in die Freiheit einzugreifen. Es besteht weiterhin die Möglichkeit des Einzelnen die Ausgangslage anzupassen und so sich bewusst anders zu entscheiden. Folgt er jedoch der Voreinstellung verhält er sich automatisch im Sinne seiner langfristigen Präferenzen und Wünsche.

Das bekannteste Beispiel dafür ist die Organspende: Beim „Opt In“ müssen Menschen sich bewusst für die Organspende entscheiden. Diese Reglung gilt u. a. in Deutschland, wo etwa jeder Fünfte sich als Organspender registriert hat. Beim „Opt Out“ müssen sich die Menschen bewusst dagegen entscheiden. Die Regelung gilt z. B. in Österreich und führt dazu, dass über 99 Prozent Organspender sind. Der veränderte Default sorgt für vollkommen andere Entscheidungen, bei ähnlicher Organspendebereitschaft. Ausgangspunkt für die Wirksamkeit von Nudging durch bestimmte Voreinstellungen sind dabei der Status-quo-Bias und die Verlustaversion.

Die Macht der Gewohnheit

Der Status-quo-Bias beschreibt die starke Tendenz von Menschen, im Status-quo zu verharren. Die Verlustaversion (engl. „loss aversion“) folgt aus dem Status-quo-Bias: Menschen bewerten ihren Nutzen aus Entscheidungen anhand der relativen Veränderung zu einem (neutralen) Referenzpunkt. Veränderungen, die dabei in Verluste münden werden höher gewichtet als Gewinne. Nach Kahneman wiegt ein Verlust doppelt so schwer wie ein Gewinn in gleicher Höhe. Aus der Angst vor Verlusten resultiert die Tendenz Unsicherheiten und Risiken zu vermeiden (Risikoaversion). Der Mensch hat ist daher eher geneigt im Status Quo zu verharren. Durch das Nudging kann der Status Quo geändert werden (neuer Referenzpunkt) und damit etabliert sich das gewünschte Verhalten und wird eher beibehalten, weil die Nachteile einer Abweichung nun gravierender erscheinen als die Vorteile.

Wir leben im Moment

Ein weiterer Umstand, der die Entscheidungs- und Problemlösefähigkeit von Menschen beeinflusst, ist die „bounded rationality“. Da die kognitive Informationsaufnahme begrenzt ist, sind Menschen dauerhaft mit einem Informationsdefizit konfrontiert und zugleich durch Willensschwachheit im Verhalten eingeschränkt. Dies wird in der Verhaltensökonomik u. a. als „Value-Behavior-Gap“ bezeichnet. Diese Lücke beschreibt die Diskrepanz zwischen den Werten und Einstellungen eines Individuums zu seinem tatsächlichen Verhalten. Mithilfe von Nudging in die Richtung der langfristigen Wertvorstellungen kann dieser Gap geschlossen werden. Nachgewiesen wurde dies u. a. durch die Veränderung der Reihenfolge bei der Platzierung von Obst und Desserts in Kantinen.

Der Value-Behavior-Gap wird auch dadurch gefördert, dass Menschen sich als moralischer einschätzen als sie tatsächlich sind. Die moralische Überlegenheit per Selbsteinschätzung ist sowohl im absoluten als auch im relativen Ausmaß größer als die Selbstüberschätzung in anderen Bereichen. Ferner überschätzen sich Menschen auch in den Kategorien Intelligenz, Ambitionen, Freundlichkeit und sogar Bescheidenheit. Dieser Effekt, sich im Vergleich zu seinen Mitmenschen überdurchschnittlich besser einzuschätzen, wird als „Better-than-average-Effekt“ beschrieben. Sich moralisch überlegen zu fühlen, kann dazu führen, sich weniger nachhaltig zu verhalten. Nach dem Motto: Andere fliegen öfter, da kann ich auch mal das Flugzeug und nicht die Bahn nehmen. Bei der Bewältigung der Selbstkontrollprobleme durch den "Value-Behavior-Gap" kann die Selbstbeschränkung helfen, indem man den Status Quo setzt: innerdeutsch nur Bahnfahren, Bio-Fleisch als Default und nachhaltig-zertifizierte Kleidung und Fairtrade Siegel beim Blumen- und Kaffeekauf als KO-Kriterium anwenden. Wenn man sich für eine bestimmte Handlung verpflichtet, motiviert das und unterstützt den Handlungswillen, da man das Ziel klar vor Augen hat. Die Möglichkeit, anders zu entscheiden, bleibt jedoch erhalten.

Mehr Klimaschutz mit Nudging erreichen

Durch „Nudges“ können menschliches Verhalten und individuelle Entscheidungen durch minimal-invasive, nicht-finanzielle Eingriffe in eine bestimmte, gewünschte Richtung gelenkt werden. Die Verhaltensökonomen Richard Thaler und Cass Sunstein beschreiben einen Nudge als jede Maßnahme, die „das Verhalten der Menschen vorhersehbar verändert, ohne Optionen zu verbieten oder ökonomische Anreize wesentlich zu ändern“. Es geht v. a. darum, komplexe Entscheidungen zu erleichtern und Selbstkontrollprobleme zu überwinden. Da die Wahlalternativen jedoch nicht ausgeschlossen werden, ist die Entscheidungsfreiheit gewährleistet. Im Sinne des libertären Paternalismus kann der Staat so die Menschen z. B. beim Energiesparen oder dem Klimaschutz unterstützen, ohne jedoch die Freiheit einzuschränken. Dafür können beispielsweise die Drucker automatisch auf Doppelseitigen Druck eingestellt werden oder die Grundeinstellung des Thermostats um 1 Grad verringert wird. Anstelle von regulativen (z. B. Verbote) oder marktlichen Instrumenten (z. B. Preis) werden beim Nudging empirisch nachgewiesene Eigenschaften des realen menschlichen Entscheidungsverhaltens genutzt.

Kritik am Nudging-Ansatz

Kritiker des Nudging wenden ein, dass Menschen mit Nudging verlernen könnten, rationale und eigenständige Entscheidungen zu treffen. Die Befürchtung ist, dass Menschen dadurch ihre Problemlösungskompetenz verlieren könnten. Nudging zielt jedoch nicht darauf ab die Menschen zu einer Entscheidung zu zwingen oder zu manipulieren, sondern bessere Entscheidungen zu treffen. Nudging soll komplexe Problemlösungsprozesse nicht ersetzen, sondern Menschen helfen, wenn sie keine Zeit, kein Interesse oder kein Involvement für ein Thema haben, rationalere, langfristig sinnvollere Entscheidungen zu treffen. Zum Beispiel um gesünder zu essen, mehr Rad zu fahren oder weniger Fleisch zu essen.

Kritisiert wird am Nudging-Ansatz auch, dass die Veränderung der Entscheidungsarchitektur manipulativ sei. Grundsätzlich ist immer eine Entscheidungsarchitektur vorgegeben. Eine Voreinstellung der Heizungstemperatur durch den Installateur von 22 Grad ist genauso eine Vorgabe wie von 19 Grad, wobei beim Nudging, anders als bei Verboten, immer die Freiheit bleibt, dies zu ändern. Völlige Freiheit ist eine Illusion, denn auch unsere Präferenzen werden durch die Gesellschaft und Sozialisation geprägt. Entscheidungen sind dennoch weiterhin möglich und erforderlich.

Teilweise wird die Effektivität von Nudging in Frage gestellt. Kann eine kleine Veränderung der Umstände wirklich zu einem signifikanten Effekt führen? Studien haben gezeigt, dass bestimmte Nudging-Methoden tatsächlich zu einer positiven Verhaltensänderung führen können. So konnte in der Studie „Hilft Nudging wirklich“, je nach Kombination der Maßnahmen, eine Einsparung beim Energieverbrauch und den Co2 Emissionen von bis zu 20 % erreicht werden. Allerdings sind die Effekte von finanziellen Anreizen oder auch von Verboten natürlich größer, schränken aber die Freiheit auch stärker ein.

Problematisch sehen einige Kritiker auch die Transparenz und Ethik der Anwendung von Nudging. Nudging kann, wie andere Maßnahmen auch, bei unmoralischen Motiven missbraucht werden. Dies gilt für die Ausgestaltung von AGBs genauso wie von Verpackungen und damit auch für Nudges. Ein Default Setting für einen Newsletter oder das teure Abo nach Ablauf der Probezeit sind genauso ein Nudge wie die Einstellung des doppelseitigen Druckens. Wichtig ist daher die gewissenhafte, wertebasierte, transparente Anwendung des Nudging. Es kann helfen, in komplexen Entscheidungssituationen bessere Entscheidungen basierend auf Empfehlungen von Experten zu treffen. Da politische Alternativen vielfach Verbote sind, sind Nudges somit eher freiheitswahrende Staatseingriffe.

Tipp

Material des Monats: Wie Nudges unsere Entscheidung beeinflussen

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