Homeoffice, hybride Arbeitsmodelle und mehr – das Konzept von „New Work“ hat spätestens seit dem Ausbruch der Corona-Krise in vielen Unternehmen Einzug gehalten. In seinem Beitrag wirft Dr. Florian Krause von der Universität St. Gallen einen Blick hinter die Fassade von „New Work“ und beleuchtet die vielschichtigen Chancen und Risiken, die mit dem Ansatz einhergehen.
Der Begriff „New Work“ hat in der Arbeitswelt zweifellos an Popularität gewonnen. Gleichzeitig bleibt er jedoch ein schillernder und schwierig zu fassender Terminus.
Ein wichtiger Vorreiter der Bezeichnung „New Work“ ist Frithjof Bergmann (1930-2021), der bereits 1977 mit seinem Buch „On Being Free“ die Grundlagen für sein 2004 veröffentlichtes Werk „Neue Arbeit, Neue Kultur“ gelegt hat. Seine Ideen nehmen jedoch eher eine Gesellschaftsutopie in den Blick, in der moderne Technologien es allen ermöglichen würden, das zu tun, was sie „wirklich wirklich“ wollten.
Heute werden unter dem Begriff New Work diverse, teils auch ältere, arbeits- und organisationsbezogene Konzepte subsummiert: selbstorganisiertes Homeoffice, hybride Arbeitsformen, Work-Life-Balance, New Leadership, Diversity and Inclusion, sinnvolle Arbeit, Gesundheitsförderung, Co-Working-Spaces, Agiles Arbeiten, Disruption, Nachhaltigkeit, digitale Transformation etc.
Einfluss von Technik auf unsere Möglichkeiten – und Erwartungen
Wenn man auf dieses multiperspektivische Sammelsurium einen halbwegs einheitlichen Blick werfen wollte, könnte man damit starten, dass neue Technologien unsere Vorstellungen von dem, was möglich ist, verändert haben und dies in der Regel eine Veränderung gesellschaftlicher Normen nach sich zieht, wenn wir Sinn darin erkennen. Man denke etwa an den Einfluss, den digitale Karten auf dem Smartphone auf unsere Erwartungen haben, nach dem Weg gefragt zu werden oder dies selbst zu tun.
Viele Konzepte und Ideen, die aktuell durch New Work thematisiert werden (z.B. Work-Life-Balance) sind zwar schon älter, aber auch für diese Konzepte haben neue Technologien neue Möglichkeiten eröffnet, um Anforderungen des Privatlebens und der Arbeit besser in einen sinnvollen zeitlichen Ablauf zu bringen. Auch gab es zuvor schon selbstorganisiertes Homeoffice, nur war dies meist bestimmten Hierarchieebenen oder Branchen vorbehalten. Trotz der Rhetorik des „Neuen“ ist das Neue an vielen Facetten von New Work häufig nicht so sehr in den Arbeits- und Organisationsformen an sich zu finden, sondern vor allem in den Kontexten, in denen sie eingesetzt werden.
Digitale Plattformen bieten neue Wege der Vermittlung bekannter Dienstleistungen und wirken somit disruptiv auf existierende Ansätze. Der Homeoffice-Boom in der Corona-Pandemie hat ebenfalls dazu beigetragen, dass Normen bzw. Vorstellungen davon, wie wir arbeiten, disruptiv in Frage gestellt werden konnten.
Agile Methoden in der Organisation können von digitalen Kommunikationskanälen und vor allem der Auswertung von (Kunden-)Daten profitieren indem Angebote daten- und nachfragegetrieben besser gesteuert werden können.
Einfluss gesellschaftlich relevanter Themen
Diversität und Inklusion sind gesellschaftlich zentraler geworden und es herrscht heute ein größeres Bewusstsein über Inklusions- und Exklusionsmechanismen bzw. Unconcious Biases (unbewusste Vorurteile) gegenüber anderen. Auch in Unternehmen rückt dieses Thema immer mehr in den Fokus, um Bewusstsein für die Umstände zu signalisieren. Zudem ermöglichen auch hier neue Technologien Menschen Zugang zur Arbeitswelt, den sie vorher z. B. aufgrund körperlicher Einschränkungen nicht hatten. In Bezug auf Nachhaltigkeit schaffen neue Technologien z. B. effizientere Steuerungs- und Planungsmöglichkeiten. Generell wird im Kontext von New Work von Arbeitskräften häufiger der Anspruch formuliert, dass individuelle Tätigkeiten einen nachhaltigen Wert haben, zu einem nachhaltigeren Leben führen oder allgemein als sinnstiftend erlebt werden sollen.
Neue Arbeit = gute Arbeit?
Anknüpfend an den Punkt Nachhaltigkeit lässt sich jedoch auch aufzeigen, dass technische Neuerungen nicht per se zu „guten“ oder „besseren“ Ergebnissen führen. Die Möglichkeiten zur effizienteren Nutzung von Ressourcen geht in der Regel mit einer erhöhten Nutzung einer Vielzahl neuer Technologien und deren Vernetzung einher, die wiederum beträchtliche Ressourcen (Strom, seltene Erden) beanspruchen. Auch gut gemeinte Maßnahmen und Aufklärung zur Diversität führen nicht immer zu einer tatsächlich besseren Inklusion. Bestimmten Tätigkeiten fehlt einfach die Möglichkeit, sie als nachhaltig oder sinnerfüllt zu erleben – ein gesellschaftlicher Imperativ zur Sinnsuche in der Arbeit könnte in der Folge eher eine Belastung darstellen. Auch die Verheißungen von „mehr Freiheit“ oder „mehr Flexibilität“ durch dezentrale und flexible Formen der Arbeit führen nicht in jedem Fall zu einer besseren Work-Life-Balance bzw. weniger Belastung: einige Personen haben mit einem fixen Arbeitszeitraum wesentlich weniger Stress oder haben nicht die Möglichkeit in Ruhe – oder gar gesundheitsförderlich – zuhause zu arbeiten. Dazu steigt bei dezentralen und selbstorganisierten Formen der Arbeit häufig der Koordinationsaufwand im Team an, reduzierte informelle Gespräche und sozialer Austausch können individuelle Unsicherheiten verstärken und Führungskräften bzw. Vertretungen der Mitarbeitenden kann es schwerer fallen, Handlungsbedarfe zu erkennen. Es zeigt sich auch hier ein gewisser Trade-Off zwischen individueller Freiheit und Flexibilität mit den hiermit einhergehenden gesteigerten Anforderungen der Selbstkoordination und der Koordination im Unternehmen.
Auch psychische Belastungen am Arbeitsplatz können im Homeoffice verstärkt auftreten: Arbeitsunterbrechungen oder soziale Isolation, aber auch emotionale Spannungen und das Gefühl von Ungerechtigkeit durch reduzierte und v. a. digital vermittelte Kommunikation. Dazu kommen mittelfristig häufig noch physische Belastungen aufgrund schlechter Ergonomie, zu wenig Licht etc. Co-Working Spaces und mobiles Arbeiten halten ebenfalls neue Herausforderungen für Unternehmen bereit, z. B. in Bezug auf Sicherheit und Geheimhaltung. Wer kennt nicht die Person in der Bahn, die ihr Umfeld arglos an einer nicht unproblematischen Unternehmensbesprechung unfreiwillig teilhaben lässt?
Nicht zuletzt basieren insbesondere aktuelle arbeitsrechtliche Regelungen wie Versicherungen, Haftungsregeln etc. eher auf einem traditionellen Arbeitsverhältnis. Dies lenkt den Blick auf die Notwendigkeit zum Verstehen und zur Gestaltung neuer Formen von Arbeit. Während Abwägungen zur Effizienz neuer Formen von Arbeit und Arbeitsorganisation sicher sinnvoll von Unternehmen getätigt werden können, sind an Stellen von Interessenkonflikten die Sozialpartner, Expert:innen sowie Gesetzgebung gefragt, Vor- und Nachteile abzuwägen, Rahmenbedingungen zu definieren und Verantwortung festzulegen.
Fazit: New Work sinnvoll gestalten
Neuen Technologien ermöglichen neue Organisations- und Arbeitsformen. Doch die bestehenden Arbeitsnormen, gesetzlichen Rahmenbedingungen, sozialen Sicherungssysteme und ethischen Vorstellungen sind größtenteils auf etablierte Arbeits- und Organisationsformen sowie auf herkömmliche Technik ausgelegt. Wenn sich jedoch Technik und Arbeitsweisen verändern, ergeben sich zahlreiche neue Möglichkeiten, aber auch Fragen im Bereich der Arbeitsorganisation, Arbeitsplatzgestaltung (z. B. Landes et. al (2021) Erfolgreich und gesund im Homeoffice arbeiten), Führung, Datensicherheit, Nachhaltigkeit usw. Viele Chancen und Herausforderungen neuer Arbeitsformen für Individuen und Organisationen sind bereits bekannt oder werden aktuell erforscht. „New Work“ ist sicher kein Selbstzweck, sondern eine Gelegenheit, neue Organisations- und Arbeitsformen so zu gestaltet, dass sie sowohl effiziente und sichere Prozesse gewährleisten als auch die physische und psychische Gesundheit der Arbeitenden fördern.
Material des Monats: Wie New Work unsere Arbeitswelt verändern wird
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