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Lobbyismus als politische Interessenvertretung – Gefahren und Nutzen

Laut der Webseite „Lobbycontrol“ gibt es in Berlin über 6000 Lobbyisten. Oft werden diese Zahlen im Zusammenhang mit Korruption genannt und als Beleg für Probleme mit der Unabhängigkeit der Politik angebracht. Aber wer sind eigentlich Lobbyisten? Wessen Interessen vertreten sie? Inwiefern stellt das ein Problem für unsere Demokratien dar und was sind mögliche Lösungen? Diese Fragen beantwortet der Ökonom Dr. Kai Gehring von der Universität Zürich.

Warum gibt es Lobbyismus?

In einer Demokratie haben alle Bürger eine Stimme. Für die meisten Individuen gibt es aber Themen, an denen sie ein besonders starkes Interesse haben: Umweltschutz, striktere Regeln zum Arbeitnehmerschutz, aber auch Subventionen oder neue technische Regulierungen. Bürger und Unternehmen können sich durch Interessenverbände oder professionelle „Lobbyisten“ für ihre Interessen einsetzen. In Deutschland ist dies durch das Grundgesetz ausdrücklich erlaubt. Denn in einer parlamentarischen Demokratie, in der Politiker nur alle vier Jahre eine direkte Rückmeldung durch die Bürger erhalten, ist es von Vorteil, weitere Informationskanäle zuzulassen.

Bereitstellung von Informationen

Diesem positiven Lobbyismusverständnis nach stellen Lobbyisten Politikern Informationen zur Verfügung, über welche diese im Detail nicht verfügen können. Man muss bedenken, dass Bundestagsabgeordnete z. B. über Themen von Bankenregulierung, Netzfreiheit, Gesundheitspolitik bis hin zu Umweltschutz entscheiden müssen. In einer zunehmend komplexen Welt können Lobbygruppen einen Weg darstellen, Politiker besser zu informieren. Beim Thema Netzneutralität ging es z. B. um eine Abwägung zwischen den Bedürfnissen der Telekommunikationsunternehmen und einen freien, gleichen Netzzugang für alle. Es gibt gute Argumente für beide Seiten, z. B. stand ein schnellerer Ausbau des Breitbandinternets einer möglicherweise unfairen Benachteiligung kleinerer Marktteilnehmer gegenüber. Sowohl die Unternehmensseite als auch Netzaktivisten schlossen sich zu Interessengruppen zusammen, und die finale Entscheidung war ein Kompromiss.

Einflussnahme durch Lobbyisten

Das ist aber natürlich nur die eine Seite der Medaille. Lobbyisten versuchen auch Politiker durch die Übermittlung selektiver oder falscher Informationen, durch subtile Beeinflussung, wie die Einladung zu exklusiven Veranstaltungen, oder dem Angebot lukrativer Posten zu beeinflussen. Der Fall Amthor hat erst kürzlich gezeigt, dass der Übergang zwischen diesen Kategorien und möglicher Bestechung oft fließend ist. Bestechung im eigentlichen Sinne ist in Deutschland eher unüblich, aber eine zu starke Vermischung zwischen Politik und Unternehmen sorgt auch hierzulande öfter für Probleme als viele wahrnehmen möchten.

Man denke nur an den Abgasskandal. Politiker aller Parteien ließen sich durch falsche Informationen der Konzernlobbyisten beeinflussen und schauten lieber nicht so genau hin. Besonders offensichtlich war das bei Volkswagen, wo der niedersächsische Ministerpräsident als Politiker direkt im Aufsichtsrat des Konzerns sitzt. Ein anderes Beispiel in Deutschland sind die Landesbanken, bei denen die Politik auch direkt in die Unternehmensführung involviert ist. Verschiedene Skandale haben bewiesen, dass ein zu großer Einfluss von Unternehmen auf Politiker problematisch ist und zu Betrug an Kunden, Benachteiligung anderer Marktteilnehmer oder vermeidbaren Umweltschäden führen kann.

Staatliches Eingreifen setzt Anreize, Lobbyismus zu betreiben

In der sozialen Marktwirtschaft stellt der Staat nicht nur zentrale öffentliche Güter bereit, sondern lenkt durch Subventionen und Regulierung auch wesentlich direkter das Wirtschaftsgeschehen. Unternehmen können durch Subventionen und Regulierung ihre Wettbewerbsposition und Gewinne steigern und haben dadurch den Anreiz, Politiker in ihrem Sinne zu beeinflussen. Der Versuch durch Lobbyismus solche „Renten“ zu erlangen, wird als „Rent-Seeking“ bezeichnet. Entgegen der Wahrnehmung der Öffentlichkeit wird die meiste Regulierung nicht durch die Politik gegen bestimmte Unternehmen angestoßen, sondern von Unternehmen angeregt, welche sich dadurch Wettbewerbsvorteile versprechen.

Lobbyismus fordert Regulierung, um sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen

Besonders erfolgreich sind solche Lobbybemühungen, wenn sich die zum eigenen Vorteil reichende Regulierung mit dem Allgemeinwohl begründen lässt. Ein Unternehmen setzt sich für eine neue Regulierung oder Subvention ein, welche ihm Vorteile gegenüber Wettbewerbern verschafft oder Steuergelder in die betreffende Industrie lenkt. Die geforderte Regulierung wird aber meist nicht mit den eigenen Vorteilen begründet, sondern mit den echten oder vermeintlichen Vorteilen für die Allgemeinheit. Französische Autobauer unterstützen strengere EU-Abgasvorschriften für die Autoflotten, da sie mit ihren kleineren Autos relativ zu den deutschen Autobauern einen Wettbewerbsvorteil erringen würden. Generell unterstützen große Konzerne oft striktere Regulierungen mit hohen bürokratischen Anforderungen, weil sie davon ausgehen, dass sie dadurch anfallende Fixkosten besser umlegen können als kleinere Wettbewerber. Die Beispiele zeigen, warum Lobbyismus so komplex ist. Es gibt gute Argumente für die meisten Regulierungen, wie den Umwelt- oder Verbraucherschutz, aber sie haben auch oft unbeabsichtigte Nebenwirkungen.

Problematisch wird Lobbyismus besonders dadurch, dass manche Gruppen besser organisiert sind oder leichter Einfluss nehmen können als andere. Der Ökonom Mancur Olson argumentiert, dass kleine, homogene und gut organisierte Gruppen leichter Einfluss durch Lobbyismus nehmen können und sich auf Kosten des Rests der Gesellschaft besserstellen können. Der Grund ist, dass durch Lobbyismus große Gewinne für die Mitglieder einer bestimmten, kleinen Gruppe entstehen, während die Kosten für den Rest der Gesellschaft pro Kopf oft sehr gering sind. Durch diese Asymmetrie besteht kein Anlass für den Einzelnen, seine Interessen zu vertreten und gut organisierte Lobbygruppen können überproportional Einfluss erlangen.

Wie können negative Konsequenzen des Lobbyismus begrenzt werden?

Grundsätzlich werden, von unterschiedlichen Seiten des politischen Spektrums, zwei unterschiedliche Lösungen unterstützt. Zum einen staatliche Eingriffe und Regulierung drastisch zu reduzieren, um Rent-Seeking-Möglichkeiten zu vermindern. Zum anderen, Lobbyismus zu verbieten oder stark zu erschweren. Beides ist anhand einer zunehmend komplexen Gesellschaft und den Herausforderungen wie dem Umwelt- und Klimaschutz problematisch. Zunehmende Komplexität erfordert den Lobbyismus als Möglichkeit der Informationsbereitstellung. Umwelt- und Klimaschutz sind Beispiele, bei denen staatliche Eingriffe nötig sind.

Einzige Alternative ist eine Balance zwischen verschiedenen Lobbygruppen und Transparenz über Lobbyaktivitäten herzustellen. Entscheidend für die Transparenz sind zentrale Lobbyregister, die Informationen über Lobbyisten und deren Auftraggeber, wie auch über Aktivitäten und Treffen mit Politikern bereitstellen. Durch diese Informationen können Wissenschaftler, NGOs und Medien problematische Lobbyaktivitäten aufdecken. In diesem Sinne sind Forderungen nach solchen verbindlichen Registern auf deutscher und europäischer Ebene zu begrüßen.

Ein Gleichgewicht zwischen verschiedenen Interessen kann aus unterschiedlichen Gründen – finanzielle Mittel oder Netzwerke – staatliche Eingriffe erfordern. Der Staat kann bestimmte Lobbygruppen z. B. indirekt steuerlich fördern: Greenpeace muss als gemeinnützige Organisation keine Steuern zahlen und Spender können ihre Zuwendungen steuerlich absetzen. Die EU etwa fördert seit 2005 Lobbyaktivitäten durch Bürgerinitiativen und NGOs als Gegenspieler zu finanzstärkeren Firmenlobbyisten. Inzwischen sind im Transparenzregister der EU sogar mehr NGOs als Unternehmen eingetragen. Natürlich lösen diese Maßnahmen nicht alle möglichen Probleme, aber in einer freiheitlichen Demokratie und Marktwirtschaft sind Wettbewerb und Transparenz die besten Instrumente, um gesellschaftliche Wohlfahrt zu erhöhen.

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