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Lehrplanentwicklungen im Fach Wirtschaft in der Sek I

Wirtschaft ist als Schulfach in den Bundesländern ganz unterschiedlich vertreten. Auch aktuell kommt es dabei immer wieder zu neuen Fächern und Fächerkombinationen, denn die ökonomische Bildung ist ein Bestandteil der Allgemeinbildung, der immer wichtiger wird: Der Klimawandel, die Digitalisierung oder der demographische Wandel sind beispielsweise aufs Engste mit den wirtschaftlichen Aspekten unseres Lebens verwoben. Es ist also zu begrüßen, dass Wirtschaft an der Schule breit verankert und bereits in der Sekundarstufe I unterrichtet wird. Auch die Joachim Herz Stiftung unterstützt ab sofort Wirtschafts-Lehrkräfte mit Materialien für die Sekundarstufe I, die den bereits bestehenden Materialpool für die Oberstufe ergänzen werden. Der Beitrag des Hildesheimer Wirtschaftsdidaktikers Athanassios Pitsoulis betrachtet die bundesweite Verbreitung des Fachs Wirtschaft in der Sekundarstufe I und beleuchtet aktuelle Trends und Entwicklungen am Beispiel ausgewählter Bundesländer.

Was regeln Lehrpläne?

Lehrpläne gehören nach Vollstädt et al. „zu den wichtigsten staatlich autorisierten Rahmenfestlegungen für den Schulunterricht“. Ihre Entwicklung ist ein komplexes Unterfangen, das der Bildungshoheit der Länder unterliegt. Ein Lehrplan ist eine Soll-Vorgabe, die regelt, was wann und mit welchem Ziel an den Schulen in einem Fach unterrichtet werden soll.1 Lehrpläne „können eine Unterstützung, eine Argumentationshilfe sein, wenn sie […] angenommen werden. Wenn Lehrerinnen und Lehrer auf Distanz zu ihnen gehen, wird auch die innovativste Idee, die der Lehrplanrevision zugrunde legt, mit Vorbehalten aufgenommen oder gar blockiert“.2

Ist das Fach Wirtschaft flächendeckend an allen Schulen in der Sekundarstufe I verankert?

Das Fach Wirtschaft gewinnt in den Curricula an Bedeutung, ist aber in den Bundesländern noch nicht flächendeckend und einheitlich an allen Schulformen in der Sekundarstufe I verankert. Ein jüngstes Beispiel für seine zunehmende Prominenz ist die Einführung von Wirtschaft, Berufs- und Studienorientierung (WBS) in Baden-Württemberg sowohl in der Gemeinschaftsschule als auch im Gymnasium; der dazugehörige Lehrplan wurde 2016 erlassen. An der Thüringer Regelschule gibt es das Fach Wirtschaft-Recht-Technik, an der Gemeinschaftsschule nun Wirtschaft/Recht. Hier wurden im 2016 erlassenen Lehrplan wirtschaftliche Inhalte gestärkt. In Bayern wird das Schulfach Wirtschaft und Recht an Realschulen, Gymnasien, Fachoberschulen und Berufsoberschulen unterrichtet. Auch in Niedersachsen gibt es das Fach Wirtschaft an Integrierten Gesamtschulen, Oberschulen, Realschulen und Hauptschulen. Dass aber Wirtschaft keineswegs schon flächendeckend in der Sekundarstufe I verpflichtend ist, zeigt ein Blick auf das Saarland: In der Gemeinschaftsschule gibt es dort zwar das Fach Beruf und Wirtschaft, es wird allerdings nur als Wahlpflichtbereich ab der Klassenstufe 7 angeboten; der dazugehörige Lehrplan wurde 2014 erlassen.

Aktuelle Entwicklungen in Deutschland

Exemplarisch soll im Folgenden auf die aktuellen Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Niedersachsen eingegangen werden – anhand der ersten beiden Länder kann gezeigt werden, dass die Relevanz des Fachs steigend ist. In Nordrhein-Westfalen sah der Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung 2017 vor, an allen weiterführenden Schulen das Schulfach Wirtschaft zu etablieren. Gemäß dem neuen Entwurf des Kernlehrplans vom Februar 2019 für das Gymnasium (Sekundarstufe I) sollte das existierende Kombinationsfach Politik-Wirtschaft seine Schwerpunkte etwas verlagern und in Wirtschaft-Politik umbenannt werden – ohne dabei aber von der Tradition eines sozialwissenschaftlichen Integrationsfachs abzurücken. Inhaltlich wurde der Lehrplan in Sachen Wirtschaft weiterentwickelt, wobei es zu keinen revolutionären Neuerungen kam. In den neuen Leitzielen wurden nun zumindest ökonomische und politische Mündigkeit benannt. Neu hinzugekommen ist z.B. das Inhaltsfeld „Handeln als Verbraucherinnen und Verbraucher“; im Inhaltsfeld „Unternehmen und Gewerkschaften in der Sozialen Marktwirtschaft“ wird erfreulicherweise auch eine Auseinandersetzung mit Formen und Strategien der Existenzgründung sowie den Chancen und Herausforderungen unternehmerischer Selbstständigkeit angeregt. Auch Aspekte der Verbraucherbildung wurden aufgenommen. Man darf gespannt sein, ob und wie der im Juni 2019 erlassene Kernlehrplan Wirtschaft-Politik (Ministerium für Schule und Bildung des Landes NRW, 2019) sich weiterentwickeln wird.

In Baden-Württemberg wurden 2016 ein gemeinsamer Bildungsplan der Sekundarstufe I sowie ein gymnasialer Bildungsplan für das neue Schulfach WBS eingeführt. Beide sehen explizit die Verbindung zwischen besserer ökonomischer Bildung und der Stärkung der Mündigkeit der Schülerinnen und Schüler vor, „die auch für ihre berufliche Orientierung im Hinblick auf die Planung und Gestaltung des Übergangs in Ausbildung, Studium und Beruf eine wichtige Rolle spielt“. Mit der Einführung dieser Lehrpläne wurde in Baden-Württemberg die ökonomische Bildung klar gestärkt.

Eine weniger erfreuliche Entwicklung gab es in den letzten Jahren in Niedersachsen, was außerhalb des Bundeslandes aber kaum wahrgenommen wurde. Dort sind zwar noch die alten Kerncurricula für das Fach Wirtschaft in Kraft, im Jahre 2014 wurde aber die Verordnung über Masterabschlüsse für Lehrämter (MasterVO-Lehr) novelliert. Diese regelt unter anderem die erlaubten Fachkombinationen. Wirtschaft war zuvor ein Kernfach, das man mit Nebenfächern wie Politik kombinieren konnte. Als Kernfach erfreute es sich entsprechender Nachfrage bei Lehramtsstudierenden. In der novellierten MasterVO-Lehr wurde Wirtschaft dann aber überraschend zu einem Nebenfach degradiert. In Verbindung mit dem Demografieproblem der Lehrkollegien3 muss dies als negative Entwicklung für die ökonomische Bildung in Niedersachsen gewertet werden. Solche Entwicklungen trüben das sonst etwas erfreulichere Bild der curricularen Entwicklung des Faches Wirtschaft in der Sekundarstufe I in Deutschland.

Es bleibt zu konstatieren, dass Lehrpläne lediglich Vorbedingungen für den Unterricht definieren. Ihr Erfolg hängt letztlich davon ab, ob die Lehrplanentwicklung mit systematischen Fortbildungsangeboten und Anpassungen der Vorgaben für die Lehramtsausbildung in der ersten Phase flankiert wird. Bei der Analyse der Effektivität von Lehrplänen sind die Wirkungen der vielen möglichen Einflussfaktoren schwer zu berücksichtigen. Da jeder Lehrplan von einer Lehrkraft an einer Schule persönlich unter den jeweils dort herrschenden spezifischen pädagogischen Rahmenbedingungen umgesetzt werden muss, kann sich trotz einheitlicher Lehrpläne eine große Variation von Ergebnissen und Wirkungen innerhalb eines Bundeslands ergeben.

Über den Autor

Athanassios Pitsoulis ist seit 2013 Professor für Wirtschaftswissenschaft und ihre Didaktik an der Universität Hildesheim sowie Mitglied des Vorstands der degöb – Deutsche Gesellschaft für Ökonomische Bildung. In Hildesheim ist er verantwortlich für die Ausbildung der angehenden Lehrkräfte im Fach Wirtschaft der Sekundarstufe I. Seine Forschungsinteressen liegen u.a. in der Digitalisierung des Wirtschaftsunterrichts im Allgemeinen und der Berufsorientierung im Speziellen und den Einflüssen ökonomischer Bildung auf die Einstellungen von Schülerinnen und Schülern. Mehr zu Athanassios Pitsoulis und seinem Team erfahren Sie unter http://www.uni-hildesheim.de/wiwid.

1 vgl. Künzli, R., Fries, A.-V., Hürlimann, W., & Rosenmund, M. (2013). Der Lehrplan – Programm der Schule. Weinheim: Beltz, S. 69ff.
2 Vollstädt, W., Tillmann, K.-J., Rauin, U., Höhmann, K., & Tebrügge, A. (1999). Lehrpläne im Schulalltag. Eine empirische Studie zur Akzeptanz und Wirkung von Lehrplänen in der Sekundarstufe I. Opladen: Leske & Budrich., S. 212
3 vgl. Brünink, M., Lange, A., & Pitsoulis, A. (2014). Demografiemanagement in Schulen. Journal für Schulentwicklung, 18(4), 24-29.

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