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„Konjunktur“ unterrichten – aber wie?

Die Auseinandersetzung mit makroökonomischen Zusammenhängen beginnt üblicherweise mit dem Thema Konjunktur, also dem „Auf und Ab“ der wirtschaftlichen Entwicklung. Wie dieses Thema in einem forschend-entdeckenden Sinne spätestens in der gymnasialen Oberstufe unterrichtet werden kann, skizziert Prof. Michael Weyland, Leiter des iföb - Instituts für Ökonomische Bildung an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg.

Guter Wirtschaftsunterricht ist der Aufklärung verpflichtet. Er dient der Wissenschaftspropädeutik, der Weltorientierung und der Anleitung zum kritischen Vernunftgebrauch. Das, was man früher „wirtschaftsbürgerliche Bildung“ nannte – die Vermittlung grundlegender Einsichten in volkswirtschaftliche Zusammenhänge und wirtschaftspolitische Diskussionen – spielt vor diesem Hintergrund eine ganz zentrale Rolle, welche ich aus drei ganz unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten möchte.

Die Perspektive der empirischen Wirtschaftsforschung: Daten statt Dogmen!

Konjunkturschwankungen werden anhand einer Vielzahl von Einzelindikatoren gemessen:

  • Frühindikatoren (z. B. der ifo-Geschäftsklima-Index) geben Hinweise auf die zukünftige Wirtschaftsentwicklung;
  • Präsenzindikatoren (z. B. das verfügbare Einkommen) reflektieren die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung;
  • Spätindikatoren (z. B. die Arbeitslosenquote) zeichnen die Entwicklung der Vergangenheit nach.

Die aus der Wirtschaftstheorie stammende Definition, wonach unter Konjunktur der „Auslastungsgrad des Produktionspotenzials“ zu verstehen sei, hat sich in der empirischen Forschung nicht durchgesetzt. Stattdessen steht mit dem realen Bruttoinlandsprodukt (BIP) ein Präsenzindikator zur Verfügung, der eine relativ leichte Messbarkeit ermöglicht. Die Ergebnisse der empirischen Konjunkturforschung zeigen allerdings, dass der vielfach in Schulbüchern abgebildete periodisch-gleichmäßige Konjunkturverlauf mit den üblichen Phasen (Aufschwung, Boom, Abschwung und Depression) eine zu grobe Vereinfachung darstellt, die sich nicht mit den realen Daten deckt. Die Amplituden (Abstände zwischen Hoch- und Tiefpunkten) variieren ebenso wie die Länge der Zyklen.

Aus fachdidaktischer Sicht gilt es daher, aus der Not eine Tugend zu machen: Lehrende sollten darauf verzichten, den idealtypisch-periodischen Konjunkturverlauf als „Fertigprodukt“ zu servieren, und stattdessen besser mit den Lernenden erkunden, wie sich der reale Verlauf tatsächlich gestaltet (Datenanalyse). Das „ifo-Klassenzimmer“ und die Fortbildungen des ifo-Instituts bieten dazu eine hervorragende Möglichkeit.

Reale oder (zu Übungszwecken) fiktive, vereinfachte Datenanalysen zur wirtschaftlichen Entwicklung bieten die Chance, einseitig textorientierte Aufgabenformate durch vielfältigere und vor allem domänenspezifische Alternativen zu ergänzen. So liefert z. B. Hans Möller ein Arbeitsschema, Lösungstechniken sowie Musterlösungen zu insgesamt 33 wirtschaftspolitischen Fallstudien, welche „datenbasierte Forschung“ (auf Schulniveau) ermöglichen und als Beispiel für eine moderne, kompetenzorientierte Aufgabenkultur angesehen werden können.

Die Perspektive der Wirtschaftstheorie: Mehr Pluralismus wagen!

Aus theoretischer Perspektive bietet das Thema „Konjunktur“ die Möglichkeit, verschiedene Erklärungsansätze für gesamtwirtschaftliche Schwankungen in ihren Grundzügen (wenn auch nicht im Detail) zu beleuchten und ganz nebenbei zwei der wichtigsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts, nämlich John Maynard Keynes (1883-1946) und Joseph Alois Schumpeter (1883-1950), kritisch zu würdigen. Die kurzfristige, auf den britischen Ökonomen Keynes zurückgehende Konjunkturtheorie – gefolgt von einer Darstellung seiner antizyklisch-nachfrageorientierten Fiskalpolitik – wird in den meisten Lehr- und Schulbüchern recht umfangreich dargestellt. Zahlreiche Beispiele dazu sind auch in Möller (2012) enthalten. Dasselbe gilt für die auf den Monetaristen Milton Friedman (1912-2006) zurückgehenden Kritikpunkte an der keynesianischen Konjunkturpolitik (u. a. time lags, Dosierungsprobleme, Stop-and-go-Politik, Staatsverschuldung, crowding out, automatische Stabilisatoren etc.). Die Gegenüberstellung von Fiskalismus und Monetarismus ist bis heute auch ein beliebtes Thema für Abiturprüfungen.

Die langfristige, auf den österreichischen Ökonomen Schumpeter zurückgehende Konjunkturtheorie hat in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur ebenfalls weite Verbreitung gefunden, während sie in Schulbüchern und zentralen Abiturprüfungen hingegen häufig vernachlässigt wird. Womöglich liegt das daran, dass sie weder dem Fiskalismus noch dem Monetarismus zuzuordnen ist. Diese Perspektive basiert auf der Vorstellung wirtschaftlichen Wandels durch „schöpferische Zerstörung“. Schumpeter bezieht sich auf den russischen Ökonomen Kondratieff (1892-1938), der als erster Vertreter der zyklischen Konjunkturtheorie „Basisinnovationen“ mit einer Dauer von 40-60 Jahren als Erklärung für den wirtschaftlichen Wandel in den Fokus rückte.

Zu den bisherigen Kondratieff-Zyklen zählen demnach:

  • ca. 1780 – 1830/50: Dampfmaschine, Textilindustrie
  • ca. 1830/50 – 1880/1900: Stahl, Eisenbahn, Telegrafie, Dampfschifffahrt
  • ca. 1880/1900 – 1920/35: Elektrotechnik, Chemie, Verbrennungsmotor
  • ca. 1920/35 – 1950/80: Automobil, Luft- und Raumfahrt, Kunststoffindustrie
  • ca. 1950/80 – 2000/05: Informationstechnik
  • ab ca. 2000/05: Biotechnologie, mobiles Internet, künstliche Intelligenz, Clean Energy

In seinem Hauptwerk „Business Cycles“ zeigt Schumpeter, dass wirtschaftlicher Wandel aus der Wirtschaft (und nicht vom Staat) hervorgebracht wird, indem Unternehmer Innovationen realisieren. Der wirtschaftliche Entwicklungsprozess wird somit durch das kumulierte Auftreten (oder Ausbleiben) von Innovationen geprägt, die wiederum für positive (oder negative) konjunkturelle Schübe sorgen. Am Beginn steht dabei jeweils eine neue, umwälzende Prozess- oder Produktinnovation, welche tiefgreifende Veränderungen in der Wirtschaft bewirkt und von „schöpferischen Zerstörern“ auf kreative und entschlossene Art und Weise umgesetzt wird. Die so entstehenden Pioniergewinne rufen Imitatoren auf den Plan; mit ihnen befasst sich die „Diffusionsforschung“. So diffundieren erfolgreiche Neuerungen in die gesamte Volkswirtschaft und neue Innovationszyklen werden initiiert; sozialer Fortschritt wird ermöglicht.

Schumpeters „methodologischer Individualismus“ bringt einen neuen, individualpsychologischen Ton in die Welt der Ökonomie. Er verwirft die neoklassische Annahme eines rein rational und nutzenmaximierend handelnden „Homo oeconomicus“ und verabschiedet das Harmoniegesetz von Angebot und Nachfrage. Von Visionen und der Hoffnung auf Pioniergewinne getriebenes Unternehmertum, so Schumpeter, ist der Schlüssel für eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung; bleiben Innovationen aus, dann stagniert der evolutionäre Prozess der wirtschaftlichen Entwicklung. Wirtschaftssysteme, die Unternehmertum belohnen (bestrafen), werden nach Schumpeter dauerhaft erfolgreich (erfolglos) sein. Das Gleichgewichtsdenken der Neoklassik hingegen und die kurzfristig-keynesianisch orientierte Stabilisierungspolitik, so Schumpeter, widersprechen dem „Grundgesetz des Kapitalismus“: Stabilisierter Kapitalismus sei ein Widerspruch in sich.

Die Perspektive der Wirtschaftspolitik: Das BIP macht nicht glücklich, aber es beruhigt!

Das BIP misst etwas, das zentrale Bedeutung für eine Volkswirtschaft besitzt: Das Volumen aller erbrachten Leistungen. Im Hinblick auf den Messaufwand und die damit verbundenen Kosten gilt das BIP unter Experten als besonders praktikables Maß. Dennoch ist die Kritik am BIP als Wohlfahrtsmaß sowohl in der Schulbuchliteratur als auch in politischen Debatten weit verbreitet. Sie bezieht sich insbesondere auf die Vernachlässigung des Verbrauchs an natürlichen Ressourcen, die Vernachlässigung von Verteilungsaspekten, von Vermögensverlusten usw. Doch alternative Wohlfahrtsindikatoren, wie z. B. der Human Development Index (HDI), sollten im Unterricht einer ebenso kritischen Prüfung zugeführt werden wie das BIP, so dass Schüler:innen befähigt werden, die Vorzüge sowie Grenzen von wirtschafts- bzw. gesellschaftlichen Wohlstandsindikatoren in ökonomischer, sozialer und ökologischer Hinsicht kritisch zu beurteilen. Dies kann z. B. durch die rollengestützte Simulation einer Enquete-Kommission zur Einführung eines neuen Wohlstandsindikators erfolgen, wie es Krüger und Tavernier (2013) eindrucksvoll vorschlagen.

Die Diskussion alternativer Wohlstandsindikatoren erscheint besonders gewinnbringend, wenn im Vorfeld sowohl die empirische als auch die theoretische Perspektive auf das wirtschaftspolitische Kernthema „Konjunktur“ intensiv beleuchtet wird.

Tipp

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