Wenn Jugendliche wegen „schwacher Konjunktur“ Schwierigkeiten haben, einen Ausbildungsplatz zu finden oder Eltern im „Boom“ Überstunden leisten, dann wird deutlich, dass die konjunkturelle Lage auch die Lebenssituation von Schüler:innen beeinflusst. Der Fachlehrer für Wirtschaftswissenschaften Stefan Prochnow schafft einen Überblick zur Beantwortung der (Schüler:innen-)Frage, warum die Wirtschaft schwankt und gibt didaktische Hinweise sowie Beispiele, wie Lehrkräfte das Thema verständlich vermitteln können.
Aktuell zeigt die Corona-Pandemie exemplarisch, dass exogene Schocks ein entscheidender Auslöser für Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivität sein können. Ob Corona „nur“ mittelfristige konjunkturelle Schwankungen auslöst und danach alles wieder wird wie zuvor, oder ob dauerhafte, strukturelle Änderungen der Wirtschaft entstehen, darüber lässt sich – auch mit Schüler:innen – trefflich diskutieren. Zuvor sollten jedoch auch in Anlehnung an das Material des Monats die Ursachen von Wirtschaftsschwankungen erklärt und ihre Messmethoden dargelegt werden.
Wirtschaftsschwankungen werden in den meisten Fällen auf einer der beiden folgenden Weisen gemessen: die erste Methode beruht darauf, den Auslastungsgrad der gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten einer Volkswirtschaft zu erfassen. Da dies schwer zu messen ist, wird in der Praxis meistens die andere Messvariante bevorzugt, bei der die Veränderungsrate des realen (also inflationsbereinigten) Bruttoinlandsprodukts betrachtet wird.
Zu den wirtschaftlichen Schwankungen gehören kurzfristige, saisonale Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivität – diese betreffen vor allem einzelne Branchen wie die Landwirtschaft, den Tourismus oder auch den Spielwarenhandel, der traditionell vor Weihnachten am meisten zu tun hat. Insgesamt ist in Deutschland in der Regel das 4. Quartal (Oktober bis Dezember) das stärkste, während das Winterquartal von Januar bis März das schwächste ist. Wenn von konjunkturellen Schwankungen die Rede ist, sind meist mittelfristige Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivität über einige Jahre gemeint. Hier spricht man von verschiedenen Phasen im Konjunkturzyklus, der Aufschwung, Boom, Rezession und Krise umfasst. Von einer Rezession spricht man, wenn in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen das Wachstum stagniert oder zurückgeht. Bei negativen Wachstumsraten spricht man sogar von einer Krise oder Depression. Der sowjetische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratjew war der Auffassung, dass diese kurz- und mittelfristigen Schwankungen von langen Wellen überlagert seien, deren Aufschwünge jeweils durch bahnbrechende Innovationen ausgelöst werden. Seit den 1990er Jahren dominieren die Informationstechnologien die wirtschaftliche Entwicklung im „5. Kondratjew“; vielleicht stehen wir aber auch schon am Beginn des „6. Kondratjews“, in dem nach Meinung einiger Autor:innen die Gesundheits- und Biotechnologien (Erik Händeler) und „grünes Wachstum“ im Vordergrund stehen.
Keine Einigkeit besteht in der Wirtschaftswissenschaft darüber, worin die Ursachen für konjunkturelle Schwankungen zu finden sind. Einig ist man sich allenfalls darin, dass Kombinationen verschiedener Faktoren als Ursachen zu betrachten sind:
Zinsen und Geld – Monetäre Faktoren: Demnach werden Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivität in erster Linie auf monetäre Faktoren, also Geldmengen- und Zinsveränderungen, zurückgeführt. Danach führen sinkende (Leit-)Zinsen und eine sich daraus ergebende Ausweitung der Kreditvergabe zu einem Aufschwung. Spätestens wenn die Produktionskapazitäten angesichts der kreditgetriebenen steigenden Nachfrage aber ausgelastet sind, erhöhen die Unternehmen die Preise. Das wiederum nötigt die Zentralbank zu Leitzinsanhebungen, um die Inflation einzudämmen – die Kreditvergabe geht zurück, ebenso die Nachfrage und die Produktion. Der Abschwung ist da.
Faktor Investitionen – Überinvestitionen: Hier wird ein Rückgang wirtschaftlicher Aktivitäten mit übertriebener Expansion vor allem in der Investitionsgüterindustrie begründet. Durch einen (in diesem Falle: falschen) unternehmerischen Instinkt (John Maynard Keynes sprach von „animal spirits“) verbunden mit einer Art Herdentrieb neigen Unternehmen phasenweise zu übertriebenem Optimismus, der zu übertriebenen Investitionen und einem zu starken Ausbau der Produktionskapazitäten führt. Die plötzliche Erkenntnis der Übertreibung, gewissermaßen das „Platzen der Blase“, läuten den Abbau von Überkapazitäten und damit den Abschwung ein.
Faktor Einkommensverteilung – Unterkonsumtion: Einige Wirtschaftswissenschaftler:innen sehen die Ursache für Schwankungen der wirtschaftlichen Aktivität in einer ungleichen Einkommensverteilung begründet. Im Aufschwung werde viel investiert und die Gewinne sprudeln, wenn aber in dieser Situation nicht in erheblichem Maße auch die Reallöhne steigen, können die gesteigerten Produktionskapazitäten nicht ausgelastet werden, weil die Kaufkraft und die Nachfrage der Konsument:innen fehlen. Dass diese Konjunkturtheorie auf Arbeitnehmer:innen- und Gewerkschaftsseite gerne vertreten wird, liegt auf der Hand.
Neben den oben genannten endogenen Faktoren spielen auch exogene, also außerhalb des Wirtschaftskreislaufs entstehende Einflüsse, eine Rolle:
Zu den ältesten Konjunkturtheorien zählt die Sonnenfleckentheorie von William Stanley Jevons (1835-1882). Er vermutete eine Korrelation zwischen der Anzahl der Sonnenflecken, der Witterung und den Ernteergebnissen auf der Erde. Missernten würden zu steigenden Preisen für Grundnahrungsmitteln führen, sodass die Menschen weniger Geld für alle anderen Güter ausgeben könnten – dies würde eine Wirtschaftskrise auslösen. Doch ein Zusammenhang zwischen Sonnenflecken und Missernten bestätigte sich nicht.
Dennoch können Missernten, aber auch Naturkatastrophen (z. B. Erdbeben) oder Kriege, wirtschaftliche Aktivitäten maßgeblich beeinflussen. Günstige klimatische Entwicklungen, Rekordernten oder bahnbrechende Erfindungen wiederum können positive gesamtwirtschaftliche Effekte haben.
Selbstverständlich spielen auch politische Entscheidungen eine Rolle. So dürfte es kein Zufall sein, dass sich die US-Konjunktur kurz vor Präsidentschaftswahlen überproportional häufig in einer Aufschwungs- oder Boomphase befindet – auch wenn die jüngste Wahl 2020 eine Ausnahme war. Subventionen oder sonstige „Wahlgeschenke“ können einen „politischen Konjunkturzyklus“ auslösen, wie James Buchanan in seinem Buch „Politics without romance“ und weitere Vertreter:innen der Public-Choice-Theorie dargestellt haben.
Eine anschauliche Synthese der verschiedenen Konjunkturtheorien bietet die Schaukelstuhl-Metapher: Der Schaukelstuhl wird von außen oder vom darin sitzenden Menschen ins Schaukeln gebracht, aber wie stark und wie lange er schaukelt, hängt stark von der Konstruktion des Stuhls und vom Verhalten des Menschen ab. Übertragen auf die Wirtschaft heißt das: Die Schwankungen der Wirtschaft werden meist von exogenen Faktoren ausgelöst, aber Stärke und Dauer der Schwankungen hängen vom Wirtschaftssystem und vom Verhalten der Menschen ab.
Letztlich sind Wirtschaftsschwankungen fast immer ein (sozial-)psychologisches Phänomen: wenn alle denken, dass morgen der Aufschwung beginnt und dann auch danach handeln (und z. B. einen erheblichen Teil ihrer Ersparnisse ausgeben), so ist der Aufschwung auch da. Versinnbildlicht werden kann dies an einer Erzählung über ein Dorf, in dem eine erwartete Milliardenerbschaft, die auf alle Dorfbewohner:innen verteilt werden sollte, einen Konsum- und Investitionsrausch ausgelöst haben soll. Der Erzählung zufolge wurden Autowerkstätten, Hotels, Häuser, Infrastruktur in Erwartung des Geldsegens neu errichtet, renoviert oder ausgebaut. Den Geldsegen bescherten sich die Dorfbewohner:innen daher letztlich selbst, indem sie auch immer mehr Tourist:innen anlockten und sich gegenseitig Arbeit und Einkommen sicherten. So blühte das Dorf praktisch aus eigener Kraft auf – ganz ohne Erbschaft, die sich Jahre später ohnehin als Irrtum herausgestellt haben soll.
Dass die Corona-Pandemie in Verbindung mit den politischen Maßnahmen zu ihrer Eindämmung ökonomisch als externer Schock zu betrachten ist, gilt als unstrittig. Diskutiert wird die Frage, inwieweit es sich hierbei bloß um eine vorübergehende konjunkturelle Delle handelt, oder ob es strukturelle Veränderungen geben wird, die auch nach Überwindung der Krise fortdauern – etwa in der Arbeitswelt, im Konsum- und Freizeitverhalten. Sehen Ihre Schüler:innen im eigenen Leben Verhaltensänderungen seit Corona, die sie positiv sehen und fortsetzen wollen? In welchen Bereichen wollen sie so rasch wie möglich in „altes Leben“ zurück? Inwieweit haben sich ihre Zukunftspläne vielleicht geändert?