Die EU-Mitgliedsstaaten haben sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, dass kein junger Mensch länger als vier Monate ohne Beschäftigung bleiben muss. Ist das realistisch? Dr. Frauke Hoss, Referentin bei der europäischen Kommission, erläutert die Bemühungen der Europäischen Union, die Jugendarbeitslosigkeit zu verringern.
Bei wem liegt der Ball?
Die europäischen Bürger betrachten auf nationaler Ebene Arbeitslosigkeit, Gesundheit und soziale Sicherheit als die größten Herausforderungen, während sie die Europäische Union (EU) vor allem mit Einwanderung und Terrorismus konfrontiert sehen. Widersprüchlich zu diesen Ergebnissen des Eurobarometers vom Frühjahr 2018 scheinen viele jüngere Menschen ihre Perspektivlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt mit der EU oder dem Euro in Verbindung zu bringen. Die hohe Anzahl der jungen Wählerinnen und Wähler, die bei der italienischen Parlamentswahl im März den euroskeptischen Parteien Fünf-Sterne-Bewegung und Lega ihre Stimmen gaben, wird mit den Schwierigkeiten der jungen Leute auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen assoziiert. Auch Angela Merkel betrachtet die Jugendarbeitslosigkeit als eine Gefahr für den europäischen Zusammenhalt. Als Anne Will die Bundeskanzlerin im Interview nach dem G7-Gipfel im Juni darauf ansprach, dass die neue italienische Regierung „ihre Wahlkämpfe mit gezielten Angriffen auch gegen sie und die angebliche oder tatsächliche deutsche Dominanz geführt haben“, antwortete Frau Merkel, dass sie dem italienischen Ministerpräsidenten angeboten habe, im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit zusammenzuarbeiten.
Es ist weniger selbstverständlich zur Bekämpfung der (Jugend-)Arbeitslosigkeit die Augen auf die EU zu richten, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Die EU ist nicht in allen Bereichen gleichermaßen zuständig. In der Handelspolitik hat sie zum Beispiel die ausschließliche Zuständigkeit. Das heißt, dass nur die EU Freihandelsverträge abschließen kann, aber nicht die Mitgliedsstaaten. Dagegen teilen sich die EU und die Mitgliedstaaten die Zuständigkeit zum Beispiel bei Energie, Verbraucherschutz, Forschung und Umwelt. Dann können auch die Mitgliedsstaaten Gesetze erlassen, wenn die EU dies noch nicht getan hat. Die alleinige Verantwortung haben die EU-Mitgliedstaaten bei der Arbeitslosigkeit, Bildung, Gesundheit und sozialen Sicherheit der Bürger. Die EU ist in diesen Bereichen auf die Koordinierung und (finanzielle) Unterstützung der Politik und Maßnahmen der Mitgliedsstaaten beschränkt.
Ein kurzer Ausflug in die Statistik Wenn die Jugendarbeitslosigkeit mit 50 % angegeben wird, heißt das nicht, dass die Hälfte der Jugendlichen untätig zuhause sitzt. Die Jugendarbeitslosenquote berechnet sich auf Basis der Gesamtheit aller Jugendlichen abzüglich derer, die sich in Ausbildung oder Studium befinden, oder aus anderen Gründen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen. Wenn also von zehn Schulabgängerinnen und Schulabgängern
haben drei der sechs sich auf dem Arbeitsmarkt befindlichen jungen Leute einen Job. Die Jugendarbeitslosenquote beträgt deshalb 50 %. Aber „nur“ 30 % der ganzen Gruppe haben ungewollt keine Arbeit. Der NEET-Indikator hingegen steht für den Anteil der jungen Leute an ihrer Altersgruppe, die nicht in der Ausbildung oder erwerbstätig sind (NEET = Not in Employment, Education or Training). Der NEET-Indikator im obigen Beispiel beträgt 40 %. Statistiken zu Arbeitslosigkeit sind mit Vorsicht zu genießen. Zum Beispiel kann Arbeitslosigkeit sehr unterschiedlich definiert werden. Eurostats Dashboard zur EU-Jugendstrategie und das Sozialpolitische Scoreboard der Europäischen Kommission bieten umfassende Daten mit einheitlichen Definitionen zu Jugend/Arbeitslosigkeit in allen EU-Mitgliedstaaten. |
Vor, während und nach der Krise: Jugendarbeitslosigkeit dauerhaft hoch
Jung oder nicht, der Hauptgrund für hohe Arbeitslosigkeit ist eine schlechte wirtschaftliche Lage und ein dementsprechend angespannter Arbeitsmarkt. Nichtsdestotrotz ist die Jugendarbeitslosenquote im europäischen Durchschnitt systematisch doppelt so hoch wie die allgemeine Arbeitslosenquote. In Deutschland ist die Jugendarbeitslosigkeit anderthalbmal, in Italien dahingegen dreimal höher als die allgemeine Arbeitslosigkeit. Die Wirtschaftskrise hat darin wenig Veränderung gebracht (siehe Abbildung 1). Jedoch bedeutet die durch die Krise bedingte hohe allgemeine Arbeitslosigkeit in einigen EU-Mitgliedsstaaten ein unerträgliches Maß an Jugendarbeitslosigkeit. Wenn die Jugendarbeitslosenquote zum Beispiel systematisch dreimal so hoch ist, bedeutet ein Anstieg der allgemeinen Arbeitslosigkeitsquote von 6 % auf 13 %, dass die Jugendarbeitslosenquote von 18 % auf 39 % klettert.
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Die Jugendarbeitslosigkeit ist aus strukturellen Gründen höher als die allgemeine Arbeitslosigkeit. Die fehlende Arbeitserfahrung, aber auch schwache, wirtschaftsferne Ausbildungssysteme machen Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger in vielen Fällen unzureichend wettbewerbsfähig. Hinzu kommt, dass sie noch keine Leistungsnachweise aus früheren beruflichen Tätigkeiten haben.
Außerdem werden in schwierigen Zeiten Beschäftigte mit der geringsten Berufserfahrung zuerst entlassen. Auch hohe Mindestlöhne können ein Grund dafür sein, dass junge Menschen auf dem Arbeitsmarkt nur schwer Fuß fassen können. Befristete Verträge können zusätzliche Probleme verursachen. Sie senken einerseits die Schwelle zum Berufseintritt, aber erschweren andererseits den Übergang in stabile Arbeitsverhältnisse. Befristete Verträge geben den Arbeitgeberinnen und Arbeitsgebern außerdem weniger Anreiz die Kenntnisse der Beschäftigten auszubauen. Nicht zuletzt fehlen in manchen Ländern den Arbeitsämtern die Mittel und Kompetenzen, Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger mit offenen Stellen zusammenzubringen.
Selbstverpflichtung der EU-Mitgliedstaaten
Neben Maßnahmen, die Konjunktur anzukurbeln und die allgemeine Arbeitslosigkeit zu senken, bemüht sich die Europäische Union auch darum, die Jugendarbeitslosigkeit zu senken. Die bedeutendste Maßnahme ist die Jugendgarantie. Im Zuge dieser Initiative soll allen Menschen in Europa unter 25 Jahren gewährleistet werden, dass ihnen innerhalb von vier Monaten nach Beendigung ihrer Ausbildung oder nach Beginn der Arbeitslosigkeit ein Arbeits- oder Ausbildungsplatz, eine Fortbildung oder ein Praktikum angeboten wird.
Alle EU-Mitgliedsstaaten haben sich 2013 zu der Jugendgarantie verpflichtet, für deren Umsetzung sie jeweils allein verantwortlich sind. Die Europäische Kommission unterstützt die Mitgliedsstaaten mit Fördergeldern in der Größenordnung von insgesamt 10 Milliarden Euro, überwacht die Umsetzung und Wirkung, und fördert den Austausch untereinander über bewährte Maßnahmen. Hierzu zählen zum Beispiel Bildungsangebote für frühzeitige Schulabgängerinnen und Schulabgänger und junge Geringqualifizierte sowie die Verbesserung der Vorbereitung und Beratung junger Menschen an Schulen und Arbeitsämtern inklusive engerer Zusammenarbeit mit Unternehmen.
Der Europäische Rechnungshof kam 2017 zu dem Schluss, dass die bereitgestellten finanziellen Mittel nicht ausreichten, um alle NEETs zu erreichen (zumal gerade krisengeschüttelte Länder nur beschränkt Geld zuschießen können), es an der Umsetzung in den Mitgliedsstaaten mangelt, und die Wirkung der Maßnahmen in vielen Fällen nicht belegbar ist. Der Knackpunkt ist, ob die Vielzahl der durch die Mitgliedsstaaten begonnenen Programme tatsächlich dazu führen, dass junge Arbeitssuchende innerhalb von vier Monaten ein Angebot erhalten und ob dieses hochwertig ist. Nach Meinung des Europäischen Rechnungshofs hat das sehr hochgesteckte Ziel außerdem zu hohe Erwartungen erzeugt. Natürlich setzt die Jugendgarantie auch voraus, dass es Stellen gibt, in die junge Menschen vermittelt werden können. Schließlich schafft die Initiative selbst keine neuen Arbeitsplätze.
Aus der Sicht der jungen Arbeitslosen sind die langen Anlaufzeiten all dieser Programme und Maßnahmen das größte Problem. Für sie sind ein Umzug, auch ins europäische Ausland, oder eine Rückkehr in das Bildungssystem die am naheliegendsten Lösungen. Erfreulicherweise ist die Arbeitslosigkeit in der gesamten Eurozone aktuell so niedrig wie zuletzt vor zehn Jahren.
Dr. Frauke Hoss hat Bauingenieurswesen sowie Politikwissenschaften studiert und im Fach Engineering & Public Policy promoviert. Nach einem Jahr als Postdoc an der Harvard Kennedy School, arbeitet Dr. Hoss seit 2015 bei der Europäischen Kommission, zur Zeit im Referat für Folgenabschätzung. Dieser Beitrag gibt ausschließlich die persönliche Auffassung der Autorin wieder.
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