Zurück

Klare Grenzen für überzogene Klimaversprechen

Unternehmen verleihen sich gerne einen grünen Anstrich – denn die Nachfrage nach umwelt- und klimafreundlichen Produkten steigt. Doch nicht immer stimmen Versprechen und Fakten überein. Wirtschaftsjournalist Manuel Heckel beleuchtet das Phänomen „Greenwashing“. Wie reagiert die EU auf die Herausforderungen und reichen Umweltsiegel oder braucht es politische Vorgaben?

War das Kerosin tatsächlich „nachhaltig“ produziert? Ist eine Airline wirklich auf dem Weg zu einem „klimaneutralen Unternehmen“? Und sind die möglichen CO2-Emissionen eines Fluges korrekt berechnet – obwohl potenziellen Passagieren kein wissenschaftlicher Nachweis präsentiert wurde? Gleich 20 Fluggesellschaften aus der EU haben vor wenigen Wochen ein unangenehmes Schreiben erhalten. EU-Institutionen und Verbraucherschutzverbände werfen ihnen vor, mit irreführenden Umweltaussagen für sich zu werben – und so die Verbraucher:innen darüber zu täuschen, welche Auswirkungen die Flüge auf Klima & Co. haben.

Das Beispiel zeigt: Wenn Schlagwörter wie „grün“, „nachhaltig“ oder „verantwortlich“ auf Werbeplakaten oder Webseiten auftauchen, schauen Behörden immer genauer hin. Im Visier: Das sogenannte „Greenwashing“. Der Begriff beschreibt den Versuch von Firmen, sich oder ihre Produkte als besonders umweltbewusst darzustellen – auch wenn die Fakten das nicht hergeben.

Werben um eine wachsende Zielgruppe

Hinter diesem Phänomen steckt der Nachhaltigkeitstrend. „‘Grüne‘ Produkte haben sich in vielen Konsumbereichen etabliert“, schreibt das Umweltbundesamt. Zwar seien sie in vielen Bereichen noch Nischenprodukte. Aber: „Ihr Absatz entwickelt sich fast durchweg positiv und teilweise sehr dynamisch.“ Von der Kleidung bis zu den Lebensmitteln, vom Stromtarif bis zur Sparanlage: Immer mehr Verbraucher:innen achten darauf, welche Klimafolgen ihr alltäglicher Einkauf hat.

Die Angebote nehmen entsprechend zu: Statt mit „höher, schneller, weiter“ punkten Unternehmen nun mit „grüner, nachhaltiger, CO2-ärmer“. Das Nachhaltigkeitsversprechen kann sich dabei mehrfach auszahlen: Firmen geben sich ein neues Image, setzen sich von Wettbewerbern ab oder rechtfertigen damit einen höheren Preis.

Unrühmliche Beispiele in allen Branchen

Das Problem: Es ist deutlich günstiger, grüne Werbeslogans zu formulieren als Nachhaltigkeit konsequent in der Wertschöpfungskette zu verankern. So kommt es zum „Greenwashing“. Mal geschieht das aus Unwissenheit oder Ungenauigkeit, mal in klarer Täuschungsabsicht. „Immer mehr Verbraucher:innen wollen ihren Beitrag zu mehr Umwelt- und Klimaschutz leisten“, sagt Bundesverbraucherschutzministerin Steffi Lemke. „Doch vermeintliche Umweltversprechen und schwammige Werbeaussagen führen oft dazu, dass sie in die Irre geführt werden.“

Die Nichtregierungsorganisation Deutsche Umwelthilfe (DUH) ruft jährlich den Negativpreis „Goldener Geier “ aus, der für die „dreistesten Umweltlügen“ vergeben wird. Im vergangenen Jahr wählten Verbraucher:innen dabei McDonald’s auf den ersten Platz: Die Fast-Food-Kette hatte in einer Werbekampagne ihre Einwegverpackungen unter dem Motto „I am beautiful“ präsentiert – aus recycelten Burgerverpackungen sollten angeblich Bücher werden. Doch die DUH fand heraus: Nur ein Drittel des Verpackungsmülls kam überhaupt in die Wiederverwertung.

Ebenfalls nominiert: Die Handelskette Lidl, die stolz eine Wasserflasche aus Plastik präsentierte, die einen „100-Prozent-Recyclingkreislauf“ durchlaufe – ein überzogenes Versprechen nach der DUH. Ebenso wie die Kreuzfahrtschiff-Gesellschaft Costa, die „Urlaub für verantwortungsvolle Entdecker“ anbot, obwohl ein Großteil der Flotte weiter mit klimaschädlichem Marine-Gasöl betrieben wird. „Während Firmen mit klima- und umweltschädlichen Produkten hohe Gewinne erzielen, zocken sie Verbraucher:innen ab und senken deren Vertrauen in wirklich grüne Produkte“, wetterte DUH-Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz in einer Pressemitteilung.

Siegel und Selbstregulierung sind ein stumpfes Schwert

Die große Frage: Wie lässt sich das Vertrauen der Verbraucher:innen stärken – und wie lässt sich „Greenwashing“ verhindern? Einige Expert:innen vertrauen auf die Kraft des Marktes. Werden falsche Werbeversprechen entlarvt, droht Unternehmen ein hoher Reputationsverlust – aus dem ein Umsatzverlust resultieren kann. Eine Umfrage des Nürnberg Instituts für Marktentscheidungen aus dem vergangenen Jahr unter 8000 europäischen Konsument:innen ergab, dass sieben von zehn Befragten die Firmen meiden, denen falsche Aussagen zum Klimaschutz vorgeworfen werden.

Weil aber transparente Angaben fehlen, lassen sich viele falsche Versprechen für Verbraucher:innen nicht entlarven. Hilfsweise prangern Verbraucherschutz- oder Nichtregierungsorganisationen einige Falschaussagen an. Neben der DUH machen beispielsweise Greenpeace oder Foodwatch immer wieder „Greenwashing“-Fälle öffentlich. Doch mit etwas Glück kommen Unternehmen ungeschoren davon – oder beenden eine Kampagne erst nach vielen verkaufsstarken Monaten.

Ähnlich sieht es bei Siegeln oder Auszeichnungen aus. Die sollen Verbraucher:innen eigentlich helfen, Standards zu erkennen und Unternehmen vergleichen zu können – anstatt sich selbst durch komplexe CO2-Fußabdrücke oder Lieferkettenanalysen zu wühlen. Doch: Eine Untersuchung vor einigen Jahren identifizierte 230 unterschiedliche Umweltzeichen innerhalb der Europäischen Union. Häufig ist es beim Einkauf unmöglich zu erkennen, wie streng oder verlässlich die Kriterien hinter dem entsprechenden Siegel sind. Die Initiative „Siegelklarheit “ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) listet und bewertet zahlreiche populäre Auszeichnungen – sortierbar etwa nach Produktgruppe, Umwelt- oder Sozialverträglichkeit. Aber auch das erfordert viel Aufwand für die Konsument:innen.

Dies zeigt: Zunehmend schalten sich Staaten oder überstaatliche Institutionen ein, um gegen „Greenwashing“ vorzugehen. Insbesondere die EU ist aktiv: Als elementarer Teil des „Green Deals“, der die grüne Transformation der Union vorantreiben soll, gilt das Vertrauen von Verbraucher:innen in entsprechende Produkte und Dienstleistungen.

Mehr Regulation für weniger „Greenwashing“?

Um dieses Vertrauen zu stärken, setzt die EU nun mehrere Hebel in Bewegung. Der Brandbrief von Ende April an die 20 Airlines, die aus Sicht der EU zu stark ihre Klimaschutzbemühungen betonten, bezog sich dabei auf Verstöße gegen die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken. Diese Strategie dürfte künftig häufiger zum Tragen kommen. In diesem Frühjahr hat der Rat der Europäischen Union ein Gesetzespaket zur „Stärkung der Verbraucher:innen im Grünen Wandel “ (englische Abkürzung:„EmpCo“) abgesegnet.

Demnach ist es Unternehmen unter anderem verboten, mit allgemeinen Versprechen wie „umweltfreundlich“ oder „biologisch abbaubar“ zu werben, solange das nicht eindeutig nachgewiesen werden kann. Zudem dürfen sie nicht Begriffe wie „klimaneutral“ nutzen, wenn sie Treibhausgase nur kompensieren – aber nicht tatsächlich reduzieren. In Deutschland treten diese Vorgabe spätestens ab Herbst 2026 in Kraft und ergänzen das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).

Und ein nächster Schritt könnte folgen: Die EU-Kommission hat im vergangenen Jahr die „Green Claims“-Richtlinie auf den Weg gebracht. Die könnte noch einmal exakter definieren, wann und in welchem Kontext klimabezogene Werbeversprechen erlaubt sind. Diskutiert wird etwa, ob Umweltaussagen zuvor von staatlich zertifizierten Stellen überprüft werden müssen. Wie zügig es mit dieser Initiative weitergeht, entscheidet sich jedoch erst nach der anstehenden Europawahl.

Die Richtung ist aber klar: Unternehmen müssen in Zukunft vorsichtiger abwägen, welche grünen Versprechen sie guten Gewissens abgeben. Sonst drohen empfindliche Strafen. Das heißt zwar, dass die bürokratische Arbeit für viele Firmen steigen wird: Sie müssen mehr Studien in Auftrag geben, Prüfinstitute bezahlen, Dokumentationen anfertigen – und wahrscheinlich viele Plakate mit Sternchen und Kleingedrucktem versehen.

Doch die verschärften Spielregeln sorgen dafür, dass der Wettbewerb unter den Firmen fairer wird: Wer sich nachhaltig und transparent um weniger Emissionen bemüht, kann auch damit werben – andere Unternehmen müssen sich dagegen in Zurückhaltung üben. Und Konsument:innen können diesen Werbeversprechen tatsächlich vertrauen.

Tipp

Material des Monats: Faking or making it: Wenn Unternehmen Greenwashing betreiben

Alle Artikel aus der Rubrik "Aktuelles" im Überblick