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Finanztransaktionssteuer als Krisenschutz: Muss man Spekulanten stoppen?

Steuerpolitik – das klingt zunächst wenig aufregend. Was aber, wenn es nicht nur um die Sicherung staatlicher Einnahmen geht? Sondern darum, Wirtschaftskrisen zu verhindern und so auch Menschen vor Arbeitslosigkeit zu schützen? Gelingen soll das mithilfe der Finanztransaktionssteuer, denn sie dämme den als gefährlich erachteten spekulativen Handel ein, sagen Befürworter. Gegner dagegen monieren ungerechte Abgaben für Unternehmen und Privatanleger und warnen vor Alleingängen der Europäischen Union. Das aktuelle Material des Monats unterstützt praxisnah beim Vermitteln dieses Themas. In seinem Artikel erläutert der Wirtschaftsjournalist Thomas Mersch die Argumente für und gegen die Finanztransaktionssteuer vor dem Hintergrund der jüngsten Vorstöße einiger EU-Staaten.

Steuern auf Finanztransaktionen – ein Thema für den Unterricht

Wann ist der Handel an den Finanzmärkten nützlich für die Wirtschaft und die Bürger? Und wann wird er zur Gefahr für die Stabilität und muss durch den Staat gebändigt werden? Eine Frage, die besonders in Zeiten ökonomischer Krisen diskutiert wird und auch in der Schule behandelt werden kann: Die Finanztransaktionssteuer ist explizit Gegenstand gymnasialer Bildungspläne im Fach Wirtschaft etwa in Baden-Württemberg. Es wird hier als Beispiel genannt für die staatliche Regulierung von Finanzmärkten. Die zahlreichen Facetten der Steuer bieten aber auch Anknüpfungspunkte unter anderem zur Preisbildung, Wirtschaftspolitik, Globalisierung/Außenhandel und Einkommensverteilung. So ist es möglich, verschiedene Unterrichtsinhalte anhand eines aktuell in den Medien diskutierten Ansatzes zu erarbeiten.

Der Ursprung:

Als erster führender Ökonom beschäftigte sich John Maynard Keynes im Jahr 1936 mit einer Steuer auf Finanztransaktionen. Die USA kämpften noch immer gegen die Große Depression, die 1929 mit dem Börsencrash am „Schwarzen Dienstag“ begonnen hatte. Unter dem Druck von Spekulanten brach in der Folge das internationale Währungssystem zusammen. Eine Steuer auf solche Handelsgeschäfte könne, so Keynes‘ Position, die schädliche, kurzfristig orientierte Spekulation eindämmen und nützliche langfristige Investitionen befördern. Diese Gedanken sind die Basis der Finanztransaktionssteuer, wie sie heute erneut diskutiert wird – auch als Reaktion auf die globale Finanzkrise ab 2007. Als zweiter wichtiger Verfechter gilt der US-amerikanische Ökonomie-Nobelpreisträger James Tobin. Er griff 1972 Keynes Idee auf und schlug eine solche Steuer vor – allerdings nur bezogen auf internationale Devisengeschäfte

Die Initiativen der Befürworter:

Im September 2011 startete die EU-Kommission einen Vorstoß für eine Steuer auf den Verkauf von Wertpapieren – also Aktien, Anleihen und Derivate. Käufer solcher Derivate wetten quasi auf ein Steigen oder Fallen eines zugrundeliegenden Basiswerts wie einer Aktie, eines Rohstoffpreises oder Devisenkurses. Neue Technologien erhöhen hierbei das Risiko für Kursschwankungen. In Zeiten des computergesteuerten Handels warnt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Zusammenhang mit dem Hochfrequenzhandel:

„Der algorithmische Handel, bei dem Eingabe, Änderungen und Löschungen von Aufträgen computerbasiert erfolgen, ist mit verschiedenen Risiken verknüpft. So […] können Algorithmen auf Marktereignisse reagieren und damit weitere Algorithmen auslösen, so dass ein Kaskadeneffekt entsteht und die Volatilität von Kursen steigt.“

Ziel des Hochfrequenzhandels ist, bei einer enormen Zahl von Transaktionen selbst geringste Gewinne zu realisieren – die sich am Ende zu beträchtlichen Summen addieren sollen. Schon eine niedrige Steuer könnte dieses Geschäft von Finanzinstituten und Profihändlern unrentabel machen, so die Hoffnung. Großbritannien, Schweden, Luxemburg und die Niederlande allerdings sind gegen die Einführung einer EU-weiten Finanztransaktionssteuer.

Andere EU-Staaten wollten sich nicht abhalten lassen. Zwischen Februar 2013 und Mai 2014 einigten sich elf Länder der Euro-Zone, darunter Deutschland, Frankreich, Italien, Österreich und Spanien, ab 2016 eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. Der Vorschlag lautete, 0,1 Prozent bei jedem Aktienverkauf zu erheben. 0,01 sollten bei einem Derivateverkauf an den Fiskus gehen. Die elf Staaten erwarteten zusammen dadurch Einnahmen von jährlich 35 Milliarden Euro.

Die Umsetzung gelang bislang nicht. Der jüngste Vorstoß der französischen und deutschen Regierung im Dezember 2018 zielte darauf, die Finanztransaktionssteuer für die Finanzierung eines Euro-Zonen-Budgets zu nutzen. In Frankreich werden bereits Verkäufe von im Inland ausgegebenen Aktien mit einer Steuer belegt, wenn die Marktkapitalisierung der Unternehmen, also der Börsenwert aller Aktien zusammen, eine Milliarde Euro überschreitet.

Prominente Rückendeckung bekamen die Politiker im Juli 2017: Eindringlich wandten sich 52 Finanzexperten um den Ex-Vorsitzenden der britischen Finanzmarktaufsichtsbehörde in einem offenen Brief an mehrere EU-Regierungschefs. Sie warnten darin, dass der Großteil der heutigen Finanzgeschäfte nicht mehr zu den primären Zielen der Finanzmärkte beitrage: Kapital für Investitionen bereitstellen, Ressourcen effizient verteilen, Risiken minimieren. Im Gegenteil entziehe der Hochfrequenzhandel dem Markt gerade dann Liquidität, wenn diese am dringendsten benötigt werde. Diese Reaktion sei Ergebnis des computergesteuerten Handels auf Grundlage von mathematischen Algorithmen. Eine Finanztransaktionssteuer verringere Anreize für „schädliche, kurzfristige Spekulationen“, ohne langfristige Investitionen zu behindern, und könne das Wirtschaftswachstum ankurbeln, weil sie Schwankungen reduziere und neue Steuereinnahmen schaffe.

Die Argumente der Gegner:

Sind Spekulanten generell so gefährlich für die Finanzmärkte, wie es ihre Kritiker sagen? Oder sind sie vielmehr wichtig, wie andere Fachleute argumentieren: Weil sie die Risiken übernehmen, die nach Sicherheit suchende Unternehmen loswerden wollen? Die Antwort auf diese Frage ist fundamental für ein Pro oder Contra zur Finanztransaktionssteuer. Doch auch im Detail stößt das staatliche Steuerungswerkzeug für Finanzmärkte auf Kritik – aus verschiedenen Gründen:

Market-Maker stabilisieren: Gegner der Steuer argumentieren, dass das Bild des spekulativen Hochfrequenzhandels, der allein das Handelsvolumen an den Finanzmärkten aufblähe, überzogen ist. Als Stabilisatoren sind die sogenannten Market-Maker aktiv – diese Rolle übernehmen etwa Banken oder Wertpapierhäuser. Sie verpflichten sich, jederzeit verbindliche Kurse für Aktien oder Optionen bereitzustellen und schaffen so Sicherheit für Investoren.

Gefahr für die Liquidität: Viele Transaktionen dienen der Absicherung von Unternehmen aber auch Privatpersonen, die etwa für das Alter vorsorgen wollen – und sollen damit gerade Risiken vermeiden. Diese aber können zunehmen, wenn dafür Steuern fällig werden. Verringert sich dadurch der Handel, könnten Preisschwankungen zunehmen. Die durch die Steuer angepeilte Stabilität droht also abzunehmen.

Quelle der Ungerechtigkeit: Die Transaktionssteuer wirkt wie eine Umsatzsteuer, da sie alle Verkäufe betrifft. Sie würde also nicht nur vermeintlich gefährliche Spekulanten treffen. Auch Privatanleger müssten zahlen, die etwa zur Altersvorsorge in Wertpapiere investieren und diese regelmäßig umschichten.

Anreiz zur Abwanderung: Selbst wenn eine Finanztransaktionssteuer tatsächlich Märkte stabilisieren könnte – solange nur wenige Länder sie einführen, könnten Finanzdienstleister an andere Standorte ausweichen, wo sie nicht zur Kasse gebeten werden.

Die Befürworter der Transaktionssteuer sagen: Keine Bank wechselt wegen einer solch geringen Abgabe ihren Sitz. Allerdings bat Frankreich im Juli 2017 bei den EU-Verhandlungen darüber um Aufschub – in der Hoffnung, Finanzdienstleister von London nach Paris locken zu können. Es geht also auch um Standortpolitik. Und ob die Steuer tatsächlich Finanzkrisen verhindern könnte, ist unter Experten umstritten. Ob und wann sie in welchem Umfang in der EU eingeführt wird, bleibt damit offen.

 
Über den Autor
Thomas Mersch arbeitet als Mitgründer des Pressebüro JP4 in Köln seit 1996 als freier Wirtschaftsjournalist für Printmedien und den Hörfunk – darunter das Handelsblatt. Parallel ist er als Lehrredakteur an der Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft tätig, die er neben dem Studium der Volkswirtschaft in Köln und Manchester selbst absolviert hat. In Schreib- und Interviewtrainings bildet er zudem Presseverantwortliche in Unternehmen und Verbänden weiter.
 

Material des Monats: Finanzmärkte beruhigen oder Anleger schröpfen? Der Konflikt um die Einführung einer Finanztransaktionssteuer
Digitales Zusatzmaterial: Finanztransaktionssteuer Pro und Kontra – Film

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