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Escape Games für den Wirtschaftsunterricht

Ob als Gesellschaftsspiel bei einem Familienabend oder live in einem Escape Room als Team-Building-Maßnahme – das Konzept des gemeinsamen Rätsellösens funktioniert in verschiedenen Kontexten. Im Material des Monats wird das Escape Game nun als digitale Variante präsentiert, um spielerisch Grundannahmen des ökonomischen Denkens im Unterricht zu vermitteln: Was bedeutet Knappheit von Gütern? Welche Bedürfnisse sind wichtiger als andere? Wie werden Ressourcenknappheit und Bedürfnisbefriedigung vereinbart? Als Crewmitglieder eines interstellaren Lieferunternehmens müssen die Schüler:innen einen brisanten Auftrag erfüllen: Auf einer Reise durch den Weltraum entschlüsseln sie Rätsel und sammeln Erfahrungen. Später lernen sie das Erlebte mit ökonomischen Fachkonzepten zu verbinden. Die Fachdidaktiker:innen Prof. Dr. Vera Kirchner, Dr. Bernd Remmele und Prof. Dr. Günther Seeber erzählen im Interview unter anderem, wie es zu dieser Idee kam.

Escape Games erfreuen sich immer größerer Beliebtheit, aber was macht die Methode gerade auch für den unterrichtlichen Einsatz interessant?

Remmele: Das Grundprinzip ist das Gleiche – ob in der Freizeit oder dem Unterricht. Kleinere Gruppen lösen Rätsel, die möglichst sinnvoll in eine spannende Geschichte eingebettet sind. Allerdings sollen in der Schule auch noch Lernziele erreicht werden, indem zum Verständnis der Geschichte und zum Lösen der Rätsel verschiedene Kompetenzen erforderlich sind. Escape Games sind per se keine digitale Methode, sondern bestimmen sich eher über die haptische Konkretheit der aufeinanderfolgenden Rätsel. Die Digitalisierung kann dabei jedoch in verschiedener Weise erfolgen. Im Klassenzimmer kann Digitales und Analoges gut gemischt werden, z. B. über ein herumliegendes passwort-geschützes Tablet. Wie unser Escape Game zeigt, ist es aber auch möglich komplett online zu spielen – sei es von zuhause aus, im Computerraum oder in einer Tablet-Klasse.

Kirchner: Gerade weil Escape Games in der Freizeit auch bei Jugendlichen gut ankommen, finden wir es schade, dass sie in den Unterricht eher zögerlich Einzug halten. Das liegt auch daran, dass bisher nur für wenige Fächer ausgearbeitete Games verfügbar sind. Für die meisten Lehrkräfte ist es schlichtweg zu aufwändig, eigene Games neben ihren vielen anderen Aufgaben zu entwickeln. Für die ökonomische Bildung und den Wirtschaftsunterricht war uns in dieser digitalen Version keines bekannt. Das wollten wir ändern! Denn die Methode Escape Game hat gerade auch für den ökonomischen Bereich enormes Potenzial. Sie legt einen Schwerpunkt auf die Problemlösekompetenz sowie das kollaborative Arbeiten und lässt sich als spielerisches Lernen beschreiben, das stark handlungsorientiert ausgerichtet ist. Wichtig dabei ist: Das im Spiel Erlebte muss mit ökonomischem Fachwissen verknüpft werden, damit aus der Erfahrung am Ende auch eine Erkenntnis erfolgen kann.

Seeber: Der große Vorteil der Escape Games liegt auch in ihrer Motivationsstärke. Ich habe schon Lehramtsstudierende in Methodenseminaren für den Ökonomieunterricht konzipierte Games in Präsenz durchführen lassen. Auf die Frage, welche der durchgeführten Methoden – dazu zählten z. B. auch Plan- und Rollenspiele – sie am spannendsten/attraktivsten für den Unterricht fanden, gab es für die Escape Games einen klaren Beliebtheitsvorsprung.

Höchste Zeit also, dass Sie ein Escape Game für den Wirtschaftsunterricht konzipiert haben. Doch wie kamen Sie auf die Idee zu genau diesem Escape Game?

Kirchner: Das Spiel wurde in Zusammenarbeit mit der Joachim Herz Stiftung und der Firma Gentle Troll aus Würzburg entwickelt. Die Geschichte in den Weltraum zu verlegen und damit einen hoffentlich spannenden Rahmen für die Lernenden zu schaffen, kam von den Spieleentwicklern. Dass wir hier mit der Knappheit einen fachlichen Schwerpunkt auf ein ganz grundlegendes, lehrplanrelevantes Thema des Wirtschaftsunterrichts legen wollten, war uns relativ schnell klar. Ebenso, dass wir ein digitales Game entwickeln wollen. So kann der Wirtschaftsunterricht auch einen Beitrag zum Erwerb digitaler Kompetenzen leisten. Außerdem ist das Spiel dadurch schnell, ansprechend und ohne viel Materialaufwand einsetzbar.

Seeber: Für uns spannend war auch, sich von in der Schule üblichen Szenarios zu lösen. Die Story sollte die Lernenden ansprechen und ist erst einmal weit weg von gängigen Beispielen: Auf solche haben wir dann die Handlungen im Weltraum transferiert, als wir die begleitende Unterrichtseinheit konzipiert haben.

Im Escape Game schlüpfen Schüler:innen in die Rolle von Raumschiffscrews und müssen Rätsel lösen. Doch ist das nicht zu spielerisch für „ernsthaften“ Unterricht?

Remmele: Generell ist die Frage, inwieweit zur Lösung von Aufgaben bzw. Rätseln Operationen durchgeführt oder Kompetenzen angewandt werden müssen, die denen entsprechen, die eigentlich gelernt werden sollen. So besteht ein Unterschied zwischen einem Rätsel, das etwa eine Optimierungsaufgabe enthält, und einem Lückentext, in dem das ökonomische Prinzip ‚nur‘ erklärt wird. In letzterem Fall ist das Aufgaben- oder Rätselformat unabhängig vom Inhalt. Inhalte der ökonomischen Bildung bieten jedoch gute Ansatzpunkte für spezifische Aufgaben, denn wirtschaftliche Entscheidungen beruhen häufig auf Trade-Offs zwischen unterschiedlichen Zielen oder aus dem Wettbewerb mit anderen. So konkurriert die Crew in einer Sequenz um Treibstoff oder muss in einer anderen Wirkung und Schwierigkeitsgrad einer Rätsellösung gegeneinander abwägen.

Haben Sie Tipps für Lehrkräfte bzgl. der Vorbereitung und der Durchführung des Spiels?

Kirchner: Ich würde empfehlen, das Spiel erstmal selbst aus der Schüler:innenperspektive zu testen und sich nicht zu viele Sorgen wegen der Durchführung zu machen. Die Lernenden sind in der Regel interessiert, etwas Neues auszuprobieren. Die meisten werden Escape Games schon aus der Freizeit kennen und Erfahrungen mit dem Lösen von Rätseln innerhalb eines solchen Spiels mitbringen. Je nach Lerngruppe sollte man sich ein paar Gedanken mehr zur Gruppeneinteilung machen, hier unterscheidet sich das Spiel nicht von anderen Gruppenarbeiten.

Remmele: Solange Unterricht nach einem festen Stunden- bzw. Doppelstunden-Schema funktioniert, müssen sich methodische Innovationen, die auch Verwendung finden wollen, an die genannte Struktur anpassen. Unser Weltraumabenteuer ist auf eine Doppelstunde angelegt. Die technische Umsetzung erlaubt aber auch die Nutzung als Hausaufgabe, um dann etwa in einer folgenden Präsenzphase Reflexions- und Transferübungen durchzuführen.

Seeber: Genau. Der Ablauf der Unterrichtsstunde, in der ein Escape Game eingesetzt wird, folgt dem allen Lehrkräften bekannten Muster beim Einsatz von Spielen: Hinführung mit Regelklärung, Durchführung/Spielphase, Reflexion. Als positiv sehe ich beim Escape Game die kurze Hinführungsphase. Es werden keine fachlichen Hintergründe gebraucht. Die Lernenden erfahren in wenigen Sätzen, was passiert, wie der Zeitablauf ist und: Los geht's!

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