Trotz aller Lippenbekenntnisse zu einer durchlässigen Bildungslandschaft hängt die Bildungskarriere in Deutschland immer noch stark vom eigenen Elternhaus ab: während 79 % der Kinder aus einem Haushalt mit mindestens einem studierten Elternteil ein Studium aufnehmen, trifft dies lediglich für 27 % der Kinder mit Eltern ohne Hochschulabschluss zu. Warum dies so ist, untersucht der Ökonom Maximilian Müller in seinem von der Joachim Herz Stiftung finanzierten Forschungsprojekt „Der Einfluss von Eltern auf die Karriereentscheidungen ihrer Kinder“.
Warum besteht ein solch ausgeprägter Zusammenhang zwischen Elternhaus und eigener Bildungskarriere, obwohl Bildung von Grundschule bis Universität in Deutschland überwiegend gebührenfrei ist? Eine Antwort auf diese Frage ist elementar für uns als Gesellschaft: zum einen, um zu wissen, wie der starke Zusammenhang zwischen Bildungskarriere und familiärer Herkunft zu bewerten ist, und zum anderen, um herauszufinden, wie wir unsere Gesellschaft durchlässiger gestalten könnten.
Lange Zeit haben sich Forschung und Politikmaßnahmen auf die Rolle und das Bereitstellen von finanziellen Ressourcen und Informationen konzentriert. Auch wenn hier Fortschritte zu verzeichnen sind, den nach wie vor starken Zusammenhang zwischen Elternhaus und Bildungskarriere können diese Faktoren nicht erklären. Den meisten Untersuchungen und Ansätzen ist gemein, dass Eltern bis zum Jugendalter ihrer Kinder die Entscheidungen zu Bildungsinvestitionen treffen und danach eine passive Rolle einnehmen: sie treten lediglich durch ihre Bildungskarriere, ihre finanziellen Ressourcen und vielleicht durch ihr Wissen und Netzwerk zu verschiedenen Laufbahnen in Erscheinung. Was aber, wenn sie eine weitaus aktivere Rolle einnehmen und bestimmte Wünsche hegen, welche Karriere ihre Kinder einschlagen sollten – vor allem, wenn Schüler:innen gewillt sind, ihre Laufbahnwahl den Vorlieben bzw. Erwartungen der Eltern anzupassen? Zur besseren Erforschung der inner-familiären Dynamik bei Karriereentscheidungen benötigt es detaillierte Informationen über Schüler:innen und ihre Eltern. Wie wichtig dies ist, zeigen Daten des Nationalen Bildungspanels, einer groß angelegten Längsschnittstudie, die seit 2009 Daten über die Bildungslebensläufe verschiedener Kohorten erhebt: etwa 20 % aller Schüler:innen-Eltern-Paare sind sich zu Schulzeiten und etwa 1-2 Jahre vor ihrer Laufbahnentscheidung uneinig darüber, ob es nach dem Abitur mit einem Studium weitergehen sollte oder nicht. Tatsächlich folgen bei Uneinigkeit mehr als 50 % der Schüler:innen den Vorstellungen der Eltern und nicht den eigenen. Doch was passiert in den ein bis zwei Jahren zwischen Uneinigkeit und Wahl nach dem Abitur? Schüler:innen könnten sich in der Zwischenzeit besser informieren und feststellen, dass sie doch die Meinung ihrer Eltern teilen; oder sie hegen privat zwar andere Träume und Vorstellungen als ihre Eltern, entscheiden sich aber dazu, sich den Erwartungen ihrer Eltern anzupassen. Genau hier setzt mein Forschungsprojekt an. Ich untersuche, ob dieser Meinungswandel nicht nur an der verstrichenen Zeit liegt, sondern auch an der Anpassung an die Vorstellungen der Eltern. Unterstützt durch die Joachim Herz Stiftung habe ich Oberstufenschüler:innen und deren Eltern zur Teilnahme an einer Studie zur Studien- und Berufsorientierung an Gesamtschulen und Gymnasien eingeladen. Und auch in diesem Fall unterscheiden sich die Pläne für die Zeit nach dem Abitur je nach elterlicher Bildungskarriere. Interessanterweise sind die Unterschiede in Hinsicht auf Studierneigung und Offenheit gegenüber einer Ausbildung unter den Eltern ausgeprägter als unter den Schüler:innen: während sich 56 % der Schüler:innen ohne studierte Eltern ein Studium vorstellen und 68 % der Schüler:innen mit mindestens einem studierten Elternteil, liegen diese Anteile unter Eltern bei 56 % und 77 %. Der Unterschied ist also um fast 10 Prozentpunkte ausgeprägter.
Die Präferenzen der Eltern bleiben nicht ohne Konsequenzen: wenn Kinder unabhängig von ihren Eltern ihre Vorstellungen für die Zeit nach dem Abitur angeben, liegt die Studierneigung von Kindern mit und ohne studierten Elternteilen nur 12 Prozentpunkte auseinander. Wenn Eltern die Vorstellungen ihrer Kinder jedoch einsehen können, steigt dieser Abstand auf fast das Doppelte an. Ein ähnlicher Effekt besteht bei der Wahl der Studienrichtung. Schüler:innen unter Beobachtung der Eltern geben häufiger Studienrichtungen mit höheren Verdienstaussichten an (wie zum Beispiel „Wirtschaftswissenschaften“) und weniger häufig Studienrichtungen wie „Kunst, Musik und Design“. Diese Beobachtung trifft erneut vor allem für Schüler:innen aus akademisch-geprägten Haushalten zu.
Diese Ergebnisse legen nahe, dass Elternwünsche und das Bedürfnis der Kinder, diesen zu entsprechen, eine wichtige Rolle bei der Laufbahnplanung von Abiturient:innen spielen. Sie führen also zu geringer sozialer Mobilität bei der die eigene soziale Position stark von der sozialen Position der Eltern abhängt. Die Ergebnisse werfen außerdem zahlreiche weitere Fragen auf: wann ist der elterliche Einfluss förderlich für die Abiturient:innen? Unter welchen Umständen könnte er negative Auswirkungen auf die Laufbahnwahl der Kinder haben? Während dies Fragen für zukünftige Forschungsprojekte sind, können wir jetzt schon Schlüsse für Programme zur Studien- und Berufsorientierung ziehen: Für einen nachhaltigen Erfolg hilft es, den elterlichen Einfluss bei der Planung einzubinden. Schüler:innen würden außerdem von Informationsmöglichkeiten unabhängig vom eigenen familiären Hintergrund und Netzwerk profitieren – etwa in Form von umfassenden Mentoring-Programmen.
Über den Autor
Maximilian Müller promoviert in Volkswirtschaftslehre an der University of California, Berkeley in den USA mit einem Schwerpunkt auf Verhaltensökonomie. Insbesondere untersucht er wie soziale Interaktionen unser Verhalten, Denken und unsere Präferenzen beeinflussen.