Die Coronakrise hat Deutschland schwer getroffen: Unternehmen mussten schließen, zehntausende Arbeitsplätze sind bedroht, die Nachfrage ist massiv eingebrochen. Ein staatliches Konjunkturpaket soll nun dabei helfen, die Wirtschaft zügig wieder anzukurbeln. Dabei setzt die Regierung auf eine Stimulierung der Nachfrage – die wirtschaftspolitische Theorie dahinter behandelt auch das Material des Monats. Welche Hoffnungen die Politik mit den Maßnahmen verbindet und wie Ökonomen das Vorhaben einschätzen, fasst Wirtschaftsjournalist Manuel Heckel zusammen.
Mit richtig „Wumms“ aus der Krise: Ein nie gesehenes Bündel an Entlastungen und Zuschüssen soll Deutschland helfen, die Folgen der Coronakrise abzumildern. Mitte Juni verabschiedete die Bundesregierung ein Konjunkturprogramm, dessen Maßnahmen sich auf 130 Milliarden Euro summieren. Das war bereits der zweite große Aufschlag des Staates in den Monaten der Pandemie. Als erste Reaktion hatte Bundesfinanzminister Olaf Scholz sprachlich bereits im März die „Bazooka“ angekündigt. Dahinter steckte ein Milliardenpaket an Soforthilfen.
Das nun im Sommer nachgelegte Konjunkturpaket soll dagegen helfen, die Wirtschaft wieder anzukurbeln. „Mit dem Konjunkturpaket setzen wir kräftige Impulse, um unser Land aus der Krise zu führen, und wir schaffen die nötige Zuversicht, die wir jetzt brauchen“, sagte der Finanzminister. Dafür setzt der Bund zum Beispiel auf eine befristete Mehrwertsteuersenkung und zusätzliche Investitionen von Unternehmen und Kommunen. Einen Extrabonus gab es zudem für Familien: Die erhalten 300 Euro pro Kind.
Nachfrage hoch: Der Staat pumpt in der Krise Geld ins Land
Damit greift der Staat der Wirtschaft massiv unter die Arme. Wirtschaftspolitisch wählt die Regierung den nachfrageorientierten Ansatz des britischen Nationalökonomen John Maynard Keynes (1883 - 1946). Der besagt: Um die Konjunktur in schwachen Phasen anzukurbeln, mischt sich der Staat aktiv ein – etwa mit zusätzlichen eigenen Investitionen, Subventionen oder niedrigeren Steuern. Brummt die Wirtschaft dagegen, spart der Staat über höhere Steuern.
Diese sogenannte antizyklische Wirtschaftspolitik soll in einer Rezession die Nachfrage beleben. Sie steht im Gegensatz zur angebotsorientierten Theorie. Die stellt den freien Markt in den Mittelpunkt – der Staat sorgt für möglichst niedrige Steuern und einen deregulierten Arbeitsmarkt, damit Unternehmen motiviert sind, zu investieren.
Kritiker der Nachfragetheorie bemängeln, dass der Staat in der Regel zu langsam agiert. Bis sich die Wirkung der Maßnahmen zeigt, sind viele Unternehmen schon bankrott gegangen – und damit zahlreiche Angestellte arbeitslos geworden. Und: Weil der Staat gerade dann viel Geld ausgibt, wenn die Steuereinnahmen besonders niedrig sind, steigt die Verschuldung meistens stark an. Das verringert den Handlungsspielraum für kommende Jahre und Generationen.
Die Politik heute denkt nicht in Generationen – sondern in Wochen und Monaten. Denn es muss es jetzt schnell gehen. Die Nachfrage liegt im Moment am Boden, ein gutes Vierteljahr nach den ersten Kontaktbeschränkungen in Deutschland. Das Wirtschaftsministerium geht davon aus, dass die Nachfrage von privaten Haushalten und Unternehmen im Inland in diesem Jahr um etwa 4,5 Prozent niedriger liegen wird. Bei Exporten könnten es sogar 11,6 Prozent weniger sein – das trifft ein Land wie Deutschland, in dem viele Maschinen, Anlagen, Autos oder Chemieprodukte ins Ausland gehen, sehr hart.
Komplizierte Ausgangslage: Der Staat hatte den Stillstand selbst verordnet
Doch die aktuelle Krise hat eine Besonderheit, durch das die Wirkung des Konjunkturpakets schwer abzuschätzen ist. Die Nachfrage nach Gütern sank so plötzlich, weil Regierungen weltweit einen Stillstand gesetzlich anordneten – nicht, weil ein Technologiesprung die Wertschöpfung auf den Kopf stellte. Innerhalb Deutschlands kann man diese Entwicklung etwa an der Gastronomie illustrieren: Menschen wollten immer noch ausgehen – doch Restaurants und Bars mussten quasi von heute auf morgen schließen.
Die Strategie der frühen Einschränkungen bremste das Virus ein. Aber es setzte den Niedergang der Nachfrage in Gang: Unternehmen hatten auf einmal kaum noch Umsatz. Aktuell halten viele Firmen trotzdem noch an ihren Angestellten fest – der verlängerte Bezug des Kurzarbeitergeldes fängt eine mögliche Entlassungswelle ab. Im April fielen bis zu zehn Millionen Menschen unter diese Regelung, zeigten Zahlen der Arbeitsagentur. Doch schon das reduzierte Einkommen während dieser Zeit sorgte dafür, dass viele Bürger weniger konsumieren konnten oder wollten.
Neustart nach der Krise: Breite Entlastung statt spitze Subventionen?
Das Problem: Wenn der Staat jetzt wieder mehr Lockerungen zulässt, ist nicht sofort die Nachfrage automatisch wieder da. Die Herausforderung für das Konjunkturpaket: Wie lässt sich die Nachfrage in der Breite ankurbeln? „Es ist gut, dass keine Branche eine Extrawurst bekommt“, sagte der Chef des Instituts für Weltweltwirtschaft (IfW) in Kiel, Professor Gabriel Felbermayr, dem Handelsblatt. Je stärker der Staat in die Wirtschaft eingreift, desto eher hat er auch die Macht, bestimmte Impulse zu setzen – um beispielsweise einzelne Branchen bevorzugt zu behandeln.
Ein Kernelement des Corona-Konjunkturpakets ist die Senkung der Mehrwertsteuer für dieses Jahr. Statt 19 Prozent werden von Juli bis Dezember auf normale Güter nur 16 Prozent fällig, der ermäßigte Satz sinkt von sieben auf fünf Prozent. Weil die Mehrwertsteuer auf alle Produkte anfällt, wird so theoretisch das Leben für ein paar Monate für alle ein wenig billiger.
Unklare Aussichten: Unsicherheit könnte Konsumanreiz übertrumpfen
Doch der Teufel steckt hier im Detail: Auch wenn die Mehrwertsteuer sinkt, können Unternehmen ihre Preise beibehalten – und so ganz einfach ihre Gewinnmarge etwas erhöhen. „Mit einer spürbaren Entlastung eines jeden einzelnen durch diese Maßnahme allein rechne ich nicht“, sagte etwa der Chef des Verbraucherzentrale Bundesverbands, Klaus Müller, dem Handelsblatt. Gerade für kleinere Unternehmen ist die temporäre Umstellung zudem ein sehr großer bürokratischer Aufwand.
Ob der Verbraucher direkt mehr konsumiert, ist zudem ebenfalls nicht sicher. Wird bei Alltagsprodukten die Steuer gesenkt, sind es pro Produkt oft nur ein paar Cent. Und bei größeren Anschaffungen, sei es ein Fernseher, Möbel oder ein Auto, könnten viele weiterhin zögern: Schließlich ist die Einkommenssituation weiterhin unklar. Wer weiter in Kurzarbeit ist oder um seinen Job fürchtet, spart vielleicht lieber, als fröhlich einkaufen zu gehen.
Mit dem Konjunkturpaket ist es also ein bisschen wie mit dem Virus selbst: Ursache und Wirkung sind neu – für den Staat, für die Unternehmen und für die Verbraucher. Die kurz- und mittelfristigen Hilfen werden die Folgen für viele Firmen und Menschen in Deutschland abdämpfen. Wie nachhaltig das Paket auf einen Pfad aus der Krise führen kann, ist dagegen unklar. Das Ifo-Institut fürchtet etwa, dass viele staatliche Hilfen das Ende von Unternehmen nur verzögern. Jede fünfte Firma könnte in eine existenzbedrohende Situation geraten, fürchten die Wirtschaftsforscher. Entscheidend wird vor allem sein, wie sehr Corona in den kommenden Monaten und Jahren für Einschränkungen sorgen wird. „Viel, sehr viel wird davon abhängen, ob wir eine zweite Welle der Infektionen bekommen“, sagte Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, im Deutschlandfunk. Dann muss die Politik erneut einen „Wumms“ als Antwort finden.