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Bürgergeld: Neuer Name, alte Probleme?

Die Ampel hat Hartz IV durch das Bürgergeld abgelöst. Seit Beginn des Jahres gibt es für Empfänger:innen von Leistungen mehr Geld und verbesserte Förderungen. Aber ist das wirklich der angestrebte große Wurf? Wirtschaftsjournalistin Pauline Schinkels ordnet die Debatte passend zum Material des Monats ein.

Mehr Geld, weniger Auflagen: Mit diesem Versprechen wollte die Ampelkoalition das Sozialsystem grundlegend reformieren. Leistungsempfänger:innen sollte mehr Vertrauen entgegengebracht, die umstrittenen Sanktionen der Jobcenter, die vor allem Geringqualifizierte trafen, zurückgefahren werden. Kurzum, die Sozialreform sollte eine „der größten der vergangenen 20 Jahre“ werden, kündigte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) an.

Der Vorgänger, Hartz IV, stammt noch aus dem Jahr 2005. Damals wurden offiziell die Arbeitslosen- und die Sozialhilfe zusammengelegt zum Arbeitslosengeld II, eine neue Grundsicherung für Arbeitssuchende. Wer Geld vom Staat bekam, musste im Gegenzug auch an Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit mitwirken. Mit diesem Fordern-und-Fördern-System sollte die Arbeitslosigkeit halbiert und die Langzeitarbeitslosigkeit reduziert werden.

Das war nur auf den ersten Blick erfolgreich. Während es 2005 in Deutschland knapp fünf Millionen registrierte Arbeitslose gab, waren es zehn Jahre später nur noch 2,7 Millionen. Aber zu diesem Zeitpunkt waren auch bereits fast eine Million Menschen dauerhaft auf ALG II angewiesen. Zu den Leistungsbeziehenden von ALG II zählten neben Arbeitslosen unter anderem auch Kranke, Alleinerziehende und deren Kinder sowie erwerbstätige Personen, die aufgrund ihres niedrigen Gehalts auf aufstockende Leistungen angewiesen waren (nichtarbeitslose Aufstocker). „Ein sozialpolitischer Skandal“, wie der Spiegel damals schrieb.

Seit den Reformen ist in Deutschland auch ein großer Niedriglohnsektor entstanden. Hartz IV galt vielen als abschreckende Armutsfalle, in die niemand abrutschen wollte. Der Druck auf Arbeitssuchende, schlecht bezahlte Stellen anzunehmen, stieg. Inzwischen bekommt gut jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland einen Niedriglohn, so viele wie in kaum einem anderen europäischen Land.

Schon früh wollte die damalige Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) gegensteuern, indem sie ein Konzept zum Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit vorlegen wollte. Das war 2016. Heute ist Nahles Vorstandschefin der Bundesarbeitsagentur (BA) und damit seit Jahresbeginn maßgeblich dafür verantwortlich, die Neuregelung des Hartz-IV-Nachfolgers, das Bürgergeld, reibungslos in den Jobcentern umzusetzen.

Neue Regelsätze kommen, Sanktionen bleiben

Zuvor war der erste Gesetzesentwurf von Bundesarbeitsminister Heil Mitte November vergangenen Jahres im Bundesrat noch gescheitert. In der Länderkammer ist die Ampelkoalition auf die zusätzlichen Stimmen der unionsgeführten Länder angewiesen. Und die lehnten den Entwurf ab. Stattdessen forderten CDU und CSU Änderungen. Die Sozialreform ging in den Vermittlungsausschuss, dem jeweils 16 Vertreter:innen von Bundestag und Bundesrat angehören. Und Arbeitsminister Heil blieb zunächst nichts anderes übrig, als an alle Beteiligte zu appellieren, schnell einen Kompromiss zu finden.

Nach langem Hin und Her gaben Bundestag und Bundesrat doch noch grünes Licht für das Bürgergeld. Allerdings waren auf Druck der Union die möglichen Sanktionen bei Pflichtverletzungen im Vergleich zu den ursprünglichen Plänen der Regierung wieder verschärft worden. Eigentlich hatte die Ampelkoalition eine sogenannte Vertrauenszeit von sechs Monaten vorgesehen. In denen sollten die Leistungskürzungen für Arbeitssuchende nur greifen, wenn sie beispielsweise mehrfach Termine im Jobcenter ignorierten. Jetzt können Jobcentermitarbeitende doch vom ersten Tag an mit Leistungskürzungen drohen, das geht stufenweise von zehn bis zu monatlich 30 Prozent weniger Bürgergeld.

Eine alte Diskussion: Über die Frage, wie viel Vertrauen und Misstrauen es in einem Sozialstaat braucht, wird seit jeher gestritten. BA-Chefin Nahles etwa sagte dazu: Im vergangenen Jahr seien nur in drei Prozent der Fälle Sanktionen verhängt worden. „Aber wir brauchen sie auch manchmal.“ Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, wiederum kritisierte im Deutschlandfunk, Sanktionen für Langzeitarbeitslose seien „kontraproduktiv und demotivierend“.

Unumstritten bei den Verhandlungen zum Bürgergeld hingegen war die Erhöhung des Regelsatzes. Er ist für alleinstehende Erwachsene um 53 Euro auf dann 502 Euro gestiegen, unter Hartz IV gab es 449 Euro. Auch die anderen Regelsätze fallen höher aus. Außerdem fordert das Jobcenter bis zu einer Bagatellgrenze von 50 Euro keine Kleinstbeträge mehr zurück, sollten diese fälschlicherweise ausgezahlt worden sein.

Quelle: Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2023

Abschlüsse statt Aushilfsjobs

Künftig sollen Arbeitslose sich weiterbilden und ihre Bildungsabschlüsse nachholen können, statt in Aushilfsjobs vermittelt zu werden. Der sogenannte Vermittlungsvorrang wurde abgeschafft. Stattdessen bekommt, wer eine Zwischen- oder Abschlussprüfung besteht, eine Weiterbildungsprämie. Monatlich gibt es zudem ein abschlussbezogenes Weiterbildungsgeld von bis zu 150 Euro. Mit gutem Grund – zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen hätten keine abgeschlossene Berufsausbildung, sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil im November vergangenen Jahres. Außerdem sieht das Bundesarbeitsministerium vor, dass statt der bisherigen Eingliederungsvereinbarungen Kooperationspläne „auf Augenhöhe“ und ohne Rechtsfolgenbelehrung vereinbart werden.

Abstriche machen musste die Ampelkoalition hingegen beim ursprünglich mal vorhergesehenen Schonvermögen. Das umfasst laut der Bundesagentur für Arbeit Bargeld und Sparguthaben, aber auch Kapitallebensversicherungen, Fahrzeuge, Schmuck sowie Haus- und Grundeigentum. Eigentlich sollten Leistungsberechtigte anfangs ein Vermögen von bis zu 60.000 Euro und jede weitere Person 30.000 Euro besitzen können. Geeinigt hat man sich letztlich auf 40.000 Euro, beziehungsweise 15.000 Euro. Nach 24 Monaten sollte noch ein Schonvermögen von 15.000 Euro erlaubt sein. Diese Karenzzeit wurde auf 12 Monate reduziert. Gleiches gilt für die Prüfung der Wohnung. In den ersten beiden Jahren sollte vom Jobcenter eigentlich nicht geprüft werden, ob die Wohnung angemessen, also klein und günstig genug ist. Auch das gilt künftig nur für ein Jahr.

Mehr Geld, eine Karenzzeit für Wohnung und Vermögen werden Bürgergeldbeziehende trotzdem nicht vor Armut schützen, kritisieren Politikwissenschaftler des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. So seien in dem Regelbedarf beispielsweise lediglich 36,44 Euro im Monat für Strom vorgesehen. Das reiche schon lange nicht mehr, um die laufenden Stromkosten zu decken. In die Richtung war auch eine Forderung der Forschungsstelle des Paritätischen Wohlfahrtsverbands gegangen. Ursprünglich hatte der Verband einen Mindestbetrag von 725 Euro gefordert.

Hubertus Heil (SPD) verteidigte den Kompromiss im Deutschlandfunk. „Mit dem Bürgergeld wird der Staat gerechter und moderner“, so der SPD-Politiker. Es bringe Menschen besser und langfristig in Arbeit. Ob sich letzteres bewahrheitet, wird sich noch zeigen. Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, kommentierte den gefundenen Kompromiss etwas anders. Von einer echten Reform könne nicht ernsthaft gesprochen werden, „sondern bestenfalls von einer Novelle“.

Tipp

Material des Monats: Das Bürgergeld – sind die Neuerungen fair?

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