Jeder weiß, unser Planet ist nur begrenzt belastbar. Bereits am 22. August hat in diesem Jahr die Menschheit den Erdüberlastungstag („Earth Overshoot Day“) erreicht, das heißt so viel verbraucht, wie die Erde in einem Jahr nicht wiederherstellen kann. Die Weltbevölkerung nutzt die Natur etwa 1,6-mal schneller als Ökosysteme sich generieren können. Die Folgen davon sind Klimawandel, Artensterben und schrumpfende Wälder. Um dem entgegenzusteuern, hat die Wirtschaftslehrerin Cornelia Nemeth-Grysko in dem Material des Monats nicht nur die Folgen unseres Konsumverhaltens im Blick, sondern zeigt auch Möglichkeiten und innovative Ideen für nachhaltigen Konsum.
Industrieländer wie Deutschland spielen eine besonders wichtige Rolle auf dem Weg hin zu einer nachhaltigen Produktion und einem ressourcenschonenden Konsum. Doch was bedeutet nachhaltiger Konsum? Wie kann jede und jeder Einzelne einen Beitrag dazu leisten, damit der Earth Overshoot Day zukünftig später im Jahr stattfindet? Cornelia Nemeth-Grysko erläutert in diesem Interview, wie dieses bedeutende Gegenwartsthema den Kampf gegen den Klimawandel unterstützen und auch im Unterricht verankert werden kann.
Frau Nemeth-Grysko, wir sprechen von einem nachhaltigen Konsum – aber ist das nicht eigentlich ein Widerspruch in sich?
Im ersten Moment ja. Wir leben momentan im Zuviel und haben einen übermäßigen Konsum, den es zu reduzieren gilt. So könnten wir zum Beispiel auf nicht-saisonale Lebensmittel oder die 10. Jeans im Kleiderschrank verzichten. Die Frage ist daher, wie und vor allem was konsumiert wird. Regional zu konsumieren, Verpackungen zu reduzieren oder Dinge zu recyclen – dies impliziert nicht unbedingt einen Trend zum Minimalismus, sondern vor allem eine Veränderung unseres Lebensstils.
Inwieweit ist gerade unser westlicher Lebensstil mit der Idee der Nachhaltigkeit vereinbar?
Das lässt sich schwer verallgemeinern, ausschlaggebend sind der Lebensstil und die Prioritäten der einzelnen Person. Grundsätzlich kann unser westlicher Lebensstil durch bewusstes Konsumieren durchaus nachhaltig sein. Und wir spielen eine wesentliche Rolle: Einerseits der hohe weltweite Ressourcenverbrauch und die damit einhergehende Umweltbelastung, anderseits verfügen wir in besonderem Maße über ökonomische und technologische Kompetenzen, um Innovationen voranzutreiben und Nachhaltigkeitsmanagementsysteme in Unternehmen zu etablieren. Die Entscheidung liegt bei uns, welchen Weg wir einschlagen.
Die Corona-Krise scheint aktuell genau dieses Bewusstsein für mehr Nachhaltigkeit bei vielen Konsumenten zu wecken. Auch dass der Earth Overshoot Day dieses Jahr einige Wochen später stattfindet als in den Vorjahren, ist eine Folge der Corona-Pandemie. Glauben Sie, dass dies eine langfristige Entwicklung sein kann?
Es ist schwer, eine Prognose aufzustellen, aber ich hoffe natürlich, dass es nachhaltig ist. Wir haben das Rezept, denn wir wissen, dass jede und jeder Einzelne einen Beitrag leisten kann, damit zum Beispiel der Earth Overshoot Day zukünftig später im Jahr stattfindet: Energie sparen, weniger Fleisch essen, Abfälle vermeiden, generell unseren Konsum und unsere Produktionstechniken verändern. Die Umsetzung erfordert eine Veränderung unseres Lebensstils, Handelns und vor allem unserer Einstellung. Die letzten Monate haben gezeigt, was man erreichen kann. Die Zeit spielt hier vermutlich einen entscheidenden Faktor. Auch wenn ich es uns nicht wünsche, aber je länger dieser Zustand anhält, desto mehr wird er zu unserer Routine und verringert die Wahrscheinlichkeit, dass wir wieder „rückfällig“ werden.
Kann Bildung diesen Prozess beeinflussen? Welche Rolle spielt hier Ihrer Meinung nach der Wirtschaftsunterricht?
Eine sehr große Rolle. Oftmals fehlt die nötige Aufklärung, um zu differenzieren, welche Kleidung und welche Lebensmittel nachhaltig sind oder allgemein, welche Firmen nachhaltig handeln. Erhalten die Schülerinnen und Schüler in der Schule Wissen darüber, unter welchen Umständen ihr Essen zu ihnen gelangt ist, wer an der Produktion ihres T-Shirts beteiligt war, oder was der Import mit sich bringt und welche Auswirkungen – positiv wie negativ – unser Konsum auf die entsprechenden Herkunftsländer hat, werden sie ihren Konsum hinterfragen und recherchieren, wo die Produkte herkommen oder was bestimmte Siegel bedeuten. Der Unterricht kann als eine Starthilfe für nachhaltigen Konsum oder zumindest für einen bewussteren Lebensstil gesehen werden. Daher nehmen auch nachhaltige Schulprojekte und Klimaaktionstage immer mehr zu. Schülerinnen und Schüler beschäftigen sich intensiv mit diesem wichtigen Thema und schaffen so Stück für Stück ein Bewusstsein für das eigene Verhalten. Durch diese Projekte lernen sie auch, sich in das Schicksal von anderen hineinzuversetzen. Positiv ist natürlich, wenn diese Aktionen eine breite Aufmerksamkeit wecken.
In der Form, dass Regierungen zum Handeln gezwungen werden und die Hersteller sowie Produzenten Verantwortung übernehmen müssen? Wäre dies aber nicht ganz grundsätzlich der erste Schritt – immerhin stellt der Konsument das letzte Glied in der Kette dar.
Das wäre natürlich ein Ansatz. So schlimm das Ganze auf der einen Seite ist, muss aber auch bedacht werden, dass eine Gesetzesänderung beispielsweise das Leid in den Herkunftsländern nicht sofort beendet. Arbeitsplätze fallen weg und es müssen in den betroffenen Ländern Alternativen geschaffen werden. Das kann nicht von heute auf morgen geschehen. Auch das gehört zur Aufklärung der Menschen – es müssen immer beide Seiten beleuchtet werden. Verbraucher und Staat sollten bei diesem Thema zusammenarbeiten. Die Bundesregierung muss die Rahmenbedingungen insofern ändern, dass Angebot, Preis und Information verbraucherfreundlich sind. Es muss mehr Transparenz herrschen, die nachhaltigen Produkte müssen für den Konsumenten erschwinglicher werden und zum Beispiel durch staatliche Nachhaltigkeits-Siegel kenntlich gemacht werden. Auch die Verbraucher müssen mit einbezogen werden und ein Bewusstsein für das Problem geschaffen werden. Wenn mehr nachhaltige Produkte nachgefragt werden, steigt das Angebot. So besitzen Konsumenten die Macht, den Markt zu beeinflussen und dürfen sich nicht aus der Verantwortung herausnehmen.
Sie haben gerade die Wichtigkeit von Transparenz angesprochen. Viele Firmen verpassen sich momentan einen „grünen Anstrich“. Was kann Konsumenten dabei helfen, sogenanntes Greenwashing zu erkennen?
Das ist in der Tat sehr schwer. Nachforschen. Nicht nur gutgläubig auf die Werbung vertrauen, sondern am besten selbst recherchieren. Schülerinnen und Schüler sollten sich im Unterricht damit auseinandersetzen und lernen, auf welche geprüften Zertifizierungen und Siegel geachtet werden sollte und was diese bedeuten.
In Ihrem Material des Monats wollen Sie den Zusammenhang zwischen eigenem Konsum und Nachhaltigkeit aufzeigen. In der dazugehörigen Econovela wird deutlich, wie schwer es ist, sein Leben plötzlich nachhaltig zu gestalten und dabei alles richtig zu machen. Welche Starttipps geben Sie Ihren Schülerinnen und Schülern, um den alltäglichen Konsum nachhaltig gestalten zu können?
Beginnt langsam und bewusst mit reflexivem Konsum. Werdet euch darüber bewusst, was ihr ändern könnt und wie das in kleinen Schritten in den Alltag integriert werden kann. Und ganz wichtig: Behaltet den Spaß dabei, denn nur dann ist es langfristig umsetzbar.