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Ausweitung der ökonomisch-politischen Bildung! G9 kommt (nicht nur) in Niedersachsen wieder

In Hessen haben die meisten Gymnasien wieder auf ein Abitur nach 13 Jahren umgestellt. In Bayern beginnt die Umstellung in diesem Jahr, in Nordrhein-Westfalen im nächsten. Niedersachsen kommt mit G9 im August in der Sekundarstufe II an. Damit verschiebt sich die niedersächsische Einführungsphase in den „neuen“ elften Jahrgang. Das Fach Politik-Wirtschaft wird dort dreistündig im Klassenverband unterrichtet werden, wovon eine Stunde für die Berufs- und Studienwahlvorbereitung reserviert ist und nicht bewertet wird. Für die verbleibenden beiden Stunden gibt es ein neues, innovatives Kerncurriculum. Kersten Ringe, Ausbilder von Referendarinnen und Referendaren am Studienseminar Stadthagen für das Lehramt an Gymnasien wirft einen Blick auf die Chancen des zusätzlichen Jahrgangs und auf die unterstützenden Angebote von teacheconomy.de.

Die niedersächsischen Gymnasialschülerinnen und -schüler bekommen einen zusätzlichen Jahrgang vor der Kursstufe. Warum kehrt Niedersachsen – wie andere Bundesländer auch – zurück zum Abitur nach 13 Jahren?
Aus politischer Perspektive ist die Rückkehr zu G9 vor allem durch den Druck zu erklären, den Eltern – nicht zuletzt über Bürgerinitiativen – entfaltet haben. Bei dieser Gruppe von Wählerinnen und Wählern hatte in den westdeutschen Bundesländern das Abitur nach 12 Jahren selten einen guten Stand, da viele an ihren Kindern beobachtet haben, dass sie kaum noch Zeit für außerschulische Aktivitäten hatten und sich einem permanenten Leistungsdruck ausgesetzt sahen. So ist es auch zu erklären, dass in Bundesländern mit ganz unterschiedlichen Regierungsparteien zur „alten“ Gymnasialzeit zurückgekommen wird.

Worin sehen Sie die Chancen für die Jugendlichen in Bezug auf das Fach Politik-Wirtschaft?
Neben der Bedeutung, die der Berufs- und Studienwahlorientierung gegeben wird, liegen die Chancen sicherlich in den sehr schülerorientierten Themen. Insbesondere das erste Semesterthema „Wandel in der Arbeitswelt in der globalisierten Gesellschaft“ bietet aus meiner Sicht vielfältige Möglichkeiten, an Schülererfahrungen und an aktueller medialer Berichterstattung anzuknüpfen. Davon ausgehend können inhaltliche Fachkonzepte entwickelt und die politische und ökonomische Analyse- und Urteilskompetenz geschult werden.

Können Sie uns dafür ein konkretes Beispiel geben?
Das Kerncurriculum sieht beispielsweise vor, dass die Schülerinnen und Schüler die Herausforderungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer zunehmend digitalisierten Wirtschaft zunächst beschreiben und schließlich auch die Chancen und Risiken dieser digitalisierten Wirtschaft erörtern. Ein aktuelleres und aus Schülersicht bedeutsameres ökonomisches Thema ist kaum denkbar. Im Bereich der Analyse könnte die Lehrkraft entweder die Digitalisierung im tertiären Sektor in den Mittelpunkt stellen und Phänomene wie „digitale Gesundheitsdienstleistungen“, „Pflegedienstleistungen durch Roboter“ oder die „Automatisierung von Lieferdiensten“ aufgreifen. Oder sie macht die Entwicklungen hin zur „Industrie 4.0“ zum Schwerpunkt einer Unterrichtseinheit. Im Bereich der Urteilsbildung könnte dann problematisiert werden, was mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geschieht. Dabei denkt man sicherlich einerseits erst einmal an Menschen, die die Qualifikationsanforderungen der digitalisierten Arbeitswelt nicht oder nur schwer erfüllen können; andererseits werden aber auch Personen betroffen sein, die qualifiziert(er) sind.
Im Zusammenhang mit weiter zunehmender Digitalisierung der Industrieproduktion gäbe es zum Beispiel die Möglichkeit, die Forderung nach einer Maschinensteuer, der alten gewerkschaftlichen Forderung nach einer generellen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich und/oder die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens zu diskutieren.

Aber das Curriculum ermöglicht doch sicher auch, auf „klassischere“ Probleme des Arbeitsmarkts und anderer Felder der politischen Ökonomie einzugehen.
Richtig. So kann man mit den Schülerinnen und Schülern die Entwicklung atypischer Beschäftigungsverhältnisse erarbeiten und politische Maßnahmen zur Regulierung von Leih- und Zeitarbeit, aber neuerdings auch Crowdworking beurteilen. Obligatorisch macht das Curriculum zudem im zweiten Halbjahr die Auseinandersetzung mit einem internationalen Handelskonflikt. Die derzeitige politische Lage zwischen den USA, China und der Europäischen Union in Bezug auf den Handel bietet dafür natürlich erhebliches Potenzial.

Was bietet aus Ihrer Perspektive die Plattform teacheconomy.de den Lehrkräften, die demnächst niedersächsische Elftklässler oder Schülerinnen und Schüler in anderen Bundesländern unterrichten, in denen ähnliche Themen in den Unterricht eingebracht werden sollen?
Erst einmal zwei grundsätzliche Überlegungen dazu: Erstens sind viele Jugendliche heute technikaffin – und oft mindestens genauso kompetent in der Bedienung digitaler Geräte und Medien wie ihre Lehrerinnen und Lehrer. Daher stellen digitale Anwendungen, z. B. interaktive Statistiken, Spiele im Sinne digitaler classroom experiments oder Erklärfilme für viele Schülerinnen und Schüler eine gute Lernhilfe dar und leisten einen Beitrag zu abwechslungsreichem Unterricht. Wenn also die didaktische Anlage der Unterrichtsstunde und die Ausstattung der Schule es erlauben, sollten aus meiner Sicht funktionale digitale Anwendungen unbedingt eingesetzt werden. Zweitens wäre es doch merkwürdig, wenn sinnvolle digitale Möglichkeiten gerade bei Themen wie dem digitalen Wandel der Produktionsstruktur und dessen Folgen für die Beschäftigten nicht zum Einsatz kämen, oder?
Zurück zur konkreten Frage: Die Plattform teacheconomy.de bietet Lehrerinnen und Lehrern zahlreiche Planungshilfen für Unterrichtstunden inklusive digitaler Zusatzmaterialien wie z. B. Videos, Spiele, interaktive Statistiken und Schaubilder. Mit anderen Worten stellen die kostenfreien Materialien eine aus meiner Sicht sinnvolle Ergänzung zum eingeführten Schülerbuch bzw. zu eigenen Unterrichtsmaterialien dar. Zur ersten Orientierung habe ich nachstehend die bisher infrage kommenden Angebote den Themenfeldern und den Kompetenzbereichen des niedersächsischen Kerncurriculums in einer Matrix zugeordnet.
Und noch ein letzter Hinweis: teacheconomy.de entwickelt sich stetig. Das Material des Monats mit dem Thema „Schöne neue Arbeitswelt? Der ökonomische Strukturwandel und seine Folgen“ und das Zusatzmaterial „Staatliche Strukturpolitik – wie der Staat den Strukturwandel gestaltet“ bieten weitere spannende Einblicke ins Thema.

 

Kompetenzbereiche
Themenfelder (vgl. KC, S. 16)

Sach- und Methodenkompetenz Urteilskompetenz

Entwicklung der Beschäftigungsstruktur in Deutschland (demografischer Wandel, Wandel der Beschäftigungsformen, geschlechtsspezifische Aspekte)

Soziale Marktwirtschaft
Warum verdienen Frauen weniger als Männer? (Video)

Wirtschaftspolitik
Schöne neue Arbeitswelt? Der ökonomische Strukturwandel und seine Folgen (Modul)

Soziale Marktwirtschaft
Vermögens- und Gehaltsunterschiede in Deutschland: wäre mehr Gleichheit gerechter? (Modul)

Soziale Marktwirtschaft
Wer nicht muss, der kann - bedingungsloses Grundeinkommen in der Diskussion (Modul)

Entwicklung der Produktionsstruktur in Deutschland (technologischer Wandel, Digitalisierung)  

Soziale Marktwirtschaft
Mindestlohn - eine sinnvolle politische Maßnahme? (Modul)

Wirtschaftspolitik
Staatliche Strukturpolitik - wie der Staat den Strukturwandel gestaltet (Modul)

Herausforderungen für Arbeitnehmende in einer zunehmend digitalisierten und globalisierten Wirtschaft Wirtschaftliche Globalisierung
Ursachen und Dimensionen von Globalisierung (Modul)
 
Unternehmen im internationalen Wettbewerb Die Unternehmung
Welcher Standort ist der Richtige? (Modul)
Wirtschaftliche Globalsierung
Welthandel: Freihandel oder doch besser Protektionismus? (Modul)

Ursachen und Erklärungsansätze für internationalen Handel
(inkl. Internationaler Handelskonflikt)

Wirtschaftliche Globalisierung
Ursachen und Dimensionen von Globalisierung (Modul)

Wirtschaftliche Globalisierung
Theorie der absoluten und komparativen Kostenvorteile (Video)

Wirtschaftliche Globalisierung
Produktlebenzyklus-Theorie (Video)

Wirtschaftliche Globalisierung
Economies of Scale (Video)

Wirtschaftliche Globalisierung
Faktorproportionentheorie (Video)

Wirtschaftliche Globalisierung
Freihandel (Video)

 

 

Tipp

Material des Monats: Staattliche Strukturpolitik - wie der Staat den Strukturwandel gestaltet
Digitales Zusatzmaterial: interaktiver Erklärfilm zur Strukturpolitik

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