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Altersvorsorge: Ein bisschen mehr Mut zum Markt?

Fast jeden zehnten Euro gibt Deutschland heute für die Rente aus. Dem demografischen Wandel kann das umlagefinanzierte System nicht entkommen. Wer im Alter finanziell auf sicheren Füßen stehen will, sollte selbst vorsorgen – und damit so früh wie möglich beginnen. Mit etwas Mut des Staates könnte sich der Spielraum vergrößern, analysiert Wirtschaftsjournalist Manuel Heckel.

Die gute Nachricht: Wir werden älter als gedacht. Die schlechte: Irgendjemand muss das bezahlen – und viele Menschen ahnen nicht, was sie tun müssten und tun könnten. Auf diese Formel lassen sich die Ergebnisse einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) Köln aus dem vergangenen Jahr bringen. Die fast 5.000 Befragten schätzten die Lebenserwartung für heutige 65-Jährige deutlich niedriger ein, als sie in der Realität ist. Wenn es dann darum geht, Wissensfrage zu verschiedenen Altersvorsorgeformen zu beantworten, müssen etliche der Befragten passen oder können nur rudimentär Auskunft geben. Die Studie zeigt auch: Je älter die Personen sind, desto mehr wissen sie über die Möglichkeiten Bescheid, sich finanziell für den Ruhestand abzusichern.

Damit offenbart sie das große Problem, auf das viele Menschen – und damit auch Gesellschaft und Politik – zusteuern. Über ihre Rente machen sich viele (meist) zu spät Gedanken. Doch mit dieser Verweigerung geht ein wichtiger Hebel verloren: Zeit. „Denn je früher der Einstieg in die ergänzende Vorsorge gelingt, umso eher gelingt es, eine höhere Auszahlung in der Ruhestandsphase zu realisieren“, hält Studienautorin Ruth Maria Schüler fest.

Die Rente mag sicher sein – ihre Höhe ist es nicht

In vielen Köpfen herrscht das Mantra vor, das der damalige Arbeitsminister Norbert Blüm bis in das Ende der 90er-Jahre verkündet hat: „Die Rente ist sicher“. Ein historischer Exkurs zeigt, wie rasch das zugesicherte Niveau für Ruheständler gesunken ist. Bis Anfang der 2000er-Jahre hatte der Staat als Devise die „Lebensstandsicherung“ ausgegeben: Was man sich im Arbeitsleben durch sein Einkommen leisten konnte, sollte im Alter die gesetzliche Rente ermöglichen.

Heute klingt das anders. Das Rentenniveau soll gesetzlich langfristig bei 48 Prozent liegen. Stark vereinfacht heißt das: Wer rein auf die staatlichen Zahlungen vertraut, muss seine Ausgaben eigentlich mit Beginn des Ruhestands halbieren.

Sorge vor der „Rentenlücke“

Die individuelle „Rentenlücke“, die Differenz zwischen eigenem Arbeitseinkommen und Rentenzahlungen, fällt dabei bei den einzelnen Versicherten unterschiedlich groß aus. Im Durchschnitt zahlt die Deutsche Rentenversicherung einem Rentner im Monat aktuell etwa 1.200 Euro aus, einer Rentnerin nur etwas über 800 Euro. Gerade Frauen, die viele Jahre in Teilzeit gearbeitet haben, erwerben häufig nur sehr geringe Rentenansprüche.

Auch die zweite und dritte Säule des deutschen Altersvorsorgesystems kann die Einbußen nicht bei allen ausgleichen. Über die betriebliche Altersvorsorge ist aktuell etwa jeder zweite deutsche Beschäftigte abgesichert – durch regelmäßige Zuschüsse des Arbeitgebers oder die steuerfreie Umwandelung eines kleinen Teils des Monatsgehalts Und in der privaten Altersvorsorge bestehen aktuell etwa 15,5 Millionen Verträge. Der größte Teil entfällt dabei auf die sogenannte „Riester-Rente“, dahinter stecken unterschiedliche Arten von steuerlich geförderten Sparplänen, die sich nur in bestimmten Konstellationen lohnen. Verbraucherschützer:innen raten zunehmend aufgrund hoher Gebühren und schlechter Rendite von diesen Finanzprodukten ab.

Die Rente bleibt ein Zuschussgeschäft

Schon heute gilt etwa jede:r fünfte:r Senior:in über 65 Jahren in Deutschland als armutsgefährdet. Der Bund schießt aktuell über 100 Milliarden Euro pro Jahr zu, das sind knapp drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Insgesamt wird fast jeder zehnte Euro des deutschen Staates für die Rente benötigt. Weil die Wirtschaftskraft des Staates in den vergangenen Jahren gewachsen ist, ist der Ausgabenanteil für die Rente leicht gesunken. Der demografische Wandel bringt jedoch das umlagefinanzierte System – heutige Beitragszahler bezahlen die Renten der aktuellen Ruheständler:innen – langfristig an seine Grenzen.

Auf der Einnahmenseite bleibt dem Staat ein wenig Spielraum. Er bemüht sich, dass mehr Menschen beschäftigt sind und in die Sozialversicherungssysteme einzahlen. Das gelingt etwa durch Zuwanderung, mehr Frauen auf dem Arbeitsmarkt oder ein höheres Renteneintrittsalter. Expert:innen schlagen außerdem vor, alle Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung einzubeziehen – und alle Beamt:innen, die aktuell nicht in die Rentenkasse einzahlen. Österreich gilt hier als Vorbild. ei Daneben kann der Beitragssatz zur Rentenversicherung steigen – aktuell liegt er bei 18,6 Prozent des Bruttoeinkommens, die sich Arbeitnehmer:in und Arbeitgeber:in teilen, er dürfte in den nächsten Jahren auf über 22 Prozent steigen.

Finanzvorteil für Frühstarter

Unabhängig von diesen Systemen steigt die Bedeutung für berufstätige Bürger:innen, sich stärker selbst um ihre finanzielle Vorsorge zu kümmern. Drei Wege gelten als Klassiker: Erstens der Erwerb von Wohneigentum – um sich so im Ruhestand die Miete zu sparen. Zweitens die frühzeitige Geldanlage – über die Jahre kommt hier der Zinseszinseffekt zum Tragen. Und drittens die Investitionen auf dem Aktienmarkt – in der Vergangenheit haben sich über längere Zeiträume verlässliche Zuwächse ergeben.

Doch diese Wege sind in Deutschland immer noch eher die Ausnahme als die Regel, sowohl politisch als auch gesellschaftlich. Eine Sorge sind Schwankungen. Bei (einigen) Immobilien und Aktien ist ein Vermögenszuwachs zwar im historischen Vergleich wahrscheinlich, aber eben keineswegs garantiert. Verluste sind ebenso möglich, in einzelnen Jahren oder sogar über eine längere Periode hinweg.

Vorsichtiger Vorstoß in Richtung Finanzmarkt

Doch ein erster vorsichtiger Vorstoß ist gemacht. In diesem Frühjahr hat die Bundesregierung im Rentenpaket II das sogenannte „Generationenkapital“ gestartet. Künftig legt der Bund jährlich Geld am Aktienmarkt an, das nicht aus den Mitteln der Beitragszahler stammt. Ab Mitte der 2030er-Jahre soll aus diesem Vermögen ein kleinerer Teil des Zuschusses an die gesetzliche Rentenversicherung fließen.

Andere Länder setzen stärker auf diese Strategie. In Schweden fließt der Großteil der monatlichen Beitragszahlungen in ein staatliches Umlagesystem, einen kleinen Teil jedoch investieren Schwed:innen in kapitalgedeckte Fonds. In manchen Staaten gibt es zudem steuerliche Vorteile, wenn Bürger:innen ihr Geld zur Altersvorsorge selbst am Aktienmarkt anlegen. In den USA existieren sogenannte „401 (k)“-Pläne, die während des Berufslebens bespart werden. Besteuert werden sie erst im Alter, wenn Einkommen und deshalb die Einkommenssteuer meist niedriger liegen.

Türen auf fürs „Altersvorsorgedepot“?

In Deutschland könnten sich die Türen für dieses Modell zaghaft öffnen. Das Bundesfinanzministerium will bis Ende des Jahres einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorlegen. Aktien, Anleihen, Fonds oder sogenannte ETF (Exchange Traded Funds, börsengehandelte Indexfonds) könnten explizit fürs Alter gekauft und über viele Jahre verwahrt werden. Die Kapitalerträge in diesen „Altersvorsorgedepots“ dürften dabei zunächst steuerfrei bleiben.

Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov für die Postbank zeigt: Unter Menschen, die bislang noch kein Geld am Kapitalmarkt angelegt haben, würde fast jede und jeder zweite erstmalig in Wertpapiere investieren, wenn solche steuerliche Erleichterungen kommen. Die Diskussion um radikale Reformen in der Rentenpolitik dürfte jedoch weit über die aktuelle Legislaturperiode hinausgehen – und alle kommenden Generationen beschäftigen.

Tipp

Material des Monats: Das deutsche Rentensystem – (k)eine sichere Altersvorsorge?

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