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Strukturpolitik in der Kritik: Gehört der Soli abgeschafft?

Strukturpolitik in der Kritik: Gehört der Soli abgeschafft? Zum Zankapfel der Großen Koalition hat sich der sogenannte Solidaritätszuschlag (Soli) in den vergangenen Monaten entwickelt. Die milliardenschwere Zusatzsteuer sollte nach dem Mauerfall dabei helfen, die Wiedervereinigung Deutschlands zu finanzieren – und zeitnah wieder verschwinden. Doch ein Vierteljahrhundert später ist die Frage nach der Zukunft des Solis noch immer ungeklärt. Dabei steigt der Druck auf die Politik, eine Lösung zu finden. Denn: Ende des Jahres läuft der sogenannte Solidarpakt aus, der die finanzielle Unterstützung der ehemaligen Ost-Bundesländer regelt. Wie geht es danach mit dem Soli weiter? Stoff für Diskussionen über mögliche Szenarien liefert das aktuelle Material des Monats. Den Stand der öffentlichen Debatte erklärt Wirtschaftsjournalistin Miriam Binner.

Sondersteuer wird zur innenpolitischen Streitfrage

Jahr für Jahr fließen Milliarden aus dem Soli an den Bund: Im vergangenen Jahr spülte die sogenannte Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer rund 18 Milliarden Euro in die Staatskasse. Steuerzahler finden den Soli auf ihrer Gehaltsabrechnung mit einem Aufschlag von 5,5 Prozent auf die Einkommensteuer. Zahlen müssen alle, sofern sie nicht unter den Grundfreibetrag fallen. Doch wofür eigentlich? Ist die Abgabe auch im Jahr 2019 noch gerechtfertigt? Und welche Alternativen gibt es mit Blick auf die Staatskasse?

Um diese Fragen dreht sich derzeit ein Streit in der Großen Koalition – eine Vorlage auch für Debatten über Steuerpolitik im Schulunterricht. Im Zusammenhang mit dem Soli können Lehrkräfte zudem einen Blick auf strukturschwache Regionen werfen und die Gleichheit von Lebensverhältnissen und Verteilungsfragen diskutieren.

Die aktuelle Auseinandersetzung in der Politik nimmt seit Ende des vergangenen Jahres Fahrt auf. Noch im März 2018 verständigten sich Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag auf einen Mittelweg: eine teilweise Abschaffung des Solis, um nicht auf die gesamten Einnahmen verzichten zu müssen. Statt alle Steuerzahler zur Kasse zu bitten, sollen laut Plan ab 2021 nur noch die zehn Prozent mit den höchsten Einkommen die Abgabe zahlen. Am Soli zumindest teilweise festzuhalten, war bislang die Linie der meisten Parteien, allen voran CDU und SPD – die Abgabe ersatzlos zu streichen, forderte in der Vergangenheit vor allem die FDP.

Inzwischen sieht das Stimmungsbild anders aus: Auf ihrem Bundesparteitag im Dezember beschloss die Union ein endgültiges Aus für den Soli. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) setzt sich dafür ein, mittels Steuerentlastung die Konjunktur wieder anzukurbeln. Die Lücke bei den Staatseinnahmen sei zu verkraften: „Wir haben alle ein Interesse an einem ausgeglichenen Haushalt, aber es gibt Spielräume“, ließ sich Altmaier Mitte Februar zitieren. Einen Rekordüberschuss in Höhe von 58 Milliarden Euro erzielte der Bund 2018.

Selbst die SPD, traditionell Verfechter der Abgabe, wagte sich in den vergangenen Wochen vor. „Wenn es nach der SPD gegangen wäre, hätten wir den Soli perspektivisch komplett abgeschafft, für die Gegenfinanzierung aber unter anderem den Steuersatz für sehr hohe Einkommen moderat um drei Punkte angehoben“, sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz Anfang Februar dem „Handelsblatt“. Die Vorstöße aus den Koalitionsparteien gehen in eine Richtung: Der Soli muss weg. Zum Zankapfel wird jedoch eine andere Frage: Woher kommen die Steuermilliarden stattdessen?

Eine permanente Übergangslösung – Kritik an der Abgabe

Ursprünglich war der Soli nur als Lückenfüller gedacht und wurde 1991 unter Bundeskanzler Helmut Kohl lediglich für ein Jahr eingeführt. Die damals veranschlagten 7,5 Prozent auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer sollten kurzfristig dabei helfen, Kosten durch den Golfkrieg und den Beitritt der neuen Bundesländer zu decken. Seit 1995, mit dem Solidaritätszuschlagsgesetz (SolzG) wiedereingeführt, läuft die Abgabe unbefristet. Die politische Rechtfertigung für eine dauerhafte Notlösung lautete damals: Der Aufbau Ost braucht Zeit.

Kritiker der Abgabe halten dagegen, dass sogenannte Ergänzungsabgaben wie der Soli nicht verwendet werden dürften, um den Staat langfristig zu finanzieren. Dieses Argument hat das Niedersächsische Finanzgericht bereits 2009 vor dem Bundesverfassungsgericht angebracht, allerdings ohne Erfolg. Die Karlsruher Richter entschieden damals, dass Ergänzungsabgaben aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht befristet werden müssen. Das letzte Wort des Bundesverfassungsgerichts dürfte jedoch noch ausstehen. Denn die Soli-Gegner verweisen auf weitere Probleme.

Dazu zählt die fehlende Zweckbindung: Die Einnahmen aus der Abgabe fließen nach Artikel 106 des Grundgesetzes dem Bund zu – als Teil des allgemeinen Haushalts. „Da der Soli als Steuer keine direkte Zweckbindung hat, wird er inzwischen für alle möglichen Haushaltslöcher eingesetzt. Damit ist diese Sondersteuer ein Etikettenschwindel“, sagt Robert Fenge, Professor am Lehrstuhl für Finanzwissenschaft der Universität Rostock. „Aus meiner Sicht gibt es zu dem Solidarzuschlag nicht mehr zu sagen, als dass er spätestens mit dem Auslaufen des Solidarpaktes II im Jahr 2019 abgeschafft werden sollte“, so Fenge.

Passiere dies nicht, bestätige sich der Verdacht vieler Bürger, dass der Staat sich an eine einmal erhobene Abgabe dauerhaft klammere – selbst wenn der ursprüngliche Zweck weggefallen sei. „Ein solches staatliches Verhalten befördert den Staatsverdruss und die Neigung zur Steuervermeidung oder sogar Steuerhinterziehung“, warnt der Finanzwissenschaftler.

Diskutierte Vorschläge für die Zukunft des Solis

Eine Alternative zu finden, könnte sich zu einem der wichtigsten innenpolitischen Themen in diesem und dem kommenden Jahr entwickeln – wenn die Große Koalition unter Kanzlerin Angela Merkel nicht bis zur Bundestagswahl 2021 auf Zeit spielt. Wirtschaftswissenschaftler bringen sich mit Gutachten zu möglichen Szenarien in Stellung.

Teil-Abschaffung mit Freigrenze: Der im Koalitionsvertrag formulierte Vorschlag sieht vor, künftig 90 Prozent der Steuerzahler mittels einer Freigrenze vom Soli zu befreien. Steuerverluste in Höhe von 10,2 Milliarden Euro pro Jahr würde das nach Schätzungen des Bundesfinanzministeriums bedeuten. Ein Teil der Staatseinnahmen bliebe erhalten. Befürworter des Solis argumentieren, dass Gutverdiener mit dieser Lösung weiterhin ihren gesellschaftlichen Beitrag leisten.

Vollständige Abschaffung ohne Ersatz: „Aus ökonomischer Sicht fragwürdig“ nennen Martin Beznoska und Tobias Hentze vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln die von der Bundesregierung geplante Freigrenze. Sie fordern stattdessen, den Soli ganz abzuschaffen. Denn: Die Teilentlastung gehe fast vollständig an den Unternehmen vorbei, während die Regierungen in anderen Ländern wie den USA oder Frankreich die Unternehmenssteuern senkten, argumentieren die IW-Ökonomen. „Im Ergebnis ist zu befürchten, dass der Reformvorschlag der Bundesregierung das Wachstumspotenzial der deutschen Volkswirtschaft und damit auch die künftigen Steuereinnahmen bremst“, heißt es in dem IW-Bericht.

Vollständige Abschaffung und Integration in die Einkommensteuer: Ein Ende des Solis ohne Ersatz hält Steuerexperte Stefan Bach vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin für bedenklich. Er warnt vor den Verteilungswirkungen: „Wenn der Solidaritätszuschlag aus politischen und verfassungsrechtlichen Gründen mittelfristig vollständig abgeschafft wird, sollte eine Entlastung der Hochverdienenden vermieden werden“, schreibt Bach in einer Analyse aus dem vergangenen Dezember. Er plädiert dafür, den Soli bei hohen Einkommen zu erhalten oder in den Einkommensteuertarif zu integrieren. Ein Reformvorschlag aus dem DIW-Gutachten: den Soli abschaffen, im Gegenzug die Besteuerung für hohe Einkommensklassen nach oben korrigieren und eine dritte Progressionszone einziehen. Diese Lösung wäre teurer als eine Teil-Abschaffung des Solis, rechnet Steuerexperte Bach: Er beziffert die Kosten auf jährlich 10,6 bis 12,5 Milliarden Euro.

Welches Modell sich am Ende durchsetzt, ist derzeit noch offen. In den vergangenen Tagen hat sich Bundesfinanzminister Scholz in Interviews immer wieder klar gegen einen Komplettabbau des Solis ausgesprochen: „Wieso soll jemand, der eine Million im Jahr verdient, mehr als 20.000 Euro sparen? Es geht um eine Frage der Gerechtigkeit“, sagte der SPD-Politiker Ende Februar der „Rheinischen Post“. Er kündigte an, noch in diesem Jahr einen Gesetzentwurf vorlegen zu wollen, der eine Teil-Abschaffung für 90 Prozent der Steuerzahler mittels einer Gleitzone vorsieht. Etwa vor verfassungsrechtlichen Problemen aufgrund eines „Zweiklassensteuersystems“ warnte CSU-Parteichef Markus Söder im „Bayerischen Rundfunk“ als Reaktion auf die jüngsten Äußerungen des Finanzministers.
 

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