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Braucht es neue Ansätze in der Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika?

Obwohl in den letzten Jahrzehnten globale Fortschritte im Bereich der Armutsbekämpfung zu verzeichnen sind, wurden die im Jahr 2000 ursprünglich verabschiedeten Entwicklungsziele, die sogenannten „Millennium Development Goals“ (MDGs), bisher nur zum Teil erfüllt – insbesondere in Subsahara-Afrika. In der von der internationalen Gemeinschaft beschlossenen Agenda 2030 wurden neue ambitionierte Ziele für nachhaltige Entwicklung formuliert. Deren Erreichung steht auch aufgrund gewalttätiger Konflikte und des Klimawandels derzeit infrage. Tim Kaiser, Junior-Professor für Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftsdidaktik an der Universität Koblenz-Landau, greift das Thema unseres Materials des Monats Mai auf und gibt einen Überblick aktueller Ansätze in der Entwicklungszusammenarbeit.

Der pessimistisch stimmende Befund über die aktuelle Lage weiter Teile Afrikas drückt sich auch in den ungebrochen hohen Migrationszahlen nach Europa aus. Rapides Bevölkerungswachstum und nach wie vor politisch und ökonomisch instabile Lebensverhältnisse führen zu einem stetig steigenden Migrationsdruck. Während die internationale Gemeinschaft seit mindestens zwei Dekaden versucht, mit Instrumenten der Entwicklungszusammenarbeit extreme Armut zu beseitigen und die Grundlagen für verbesserte Lebensumstände und Wohlstand zu schaffen, haben bisherige Maßnahmen leider nicht zu transformativen Effekten auf die afrikanischen Volkswirtschaften geführt. 

Wirtschaftliche Integration: Leitbild der Entwicklungszusammenarbeit

Dies haben auch die G20-Länder erkannt und im Rahmen der G20-Präsidentschaft der Bundesrepublik Deutschlands den sogenannten „G20 Compact with Africa“ (CwA) ins Leben gerufen. Derzeit nehmen zwölf Länder in Afrika an der Initiative teil und werden von der G20 sowie der African Development Bank, dem Internationalen Währungsfonds und der Weltbank darin unterstützt, länderspezifische Reformen zu entwerfen. Diese sollen die Attraktivität für private Investitionen in diesen Ländern steigern. Damit steht diese Initiative in der Tradition der bisherigen entwicklungspolitischen Agenda, die stark durch die Leitideen der sogenannten „Global Governance Institutionen“, wie z. B. der Welthandelsorganisation (WTO), den Einrichtungen der Weltbank-Gruppe sowie dem Internationalen Währungsfonds (IMF) geprägt ist.

All diesen Institutionen liegt das normative Leitbild eines sogenannten „eingebetteten Liberalismus“ zugrunde, d. h. sie verfolgen das Ziel, die fortschreitende Globalisierung im Sinne einer gesteigerten Integration von Nationalstaaten in die Weltwirtschaft zu gestalten. Grundpfeiler ist hierbei ein freier Welthandel, der im Rahmen von bilateralen Verträgen geregelt wird. Ein viel diskutiertes Beispiel dieser Handelsverträge sind die im Rahmen des Cotonou-Abkommens im Jahr 2000 beschlossenen „Economic Partnership Agreements“ (EPAs) zwischen den Ländern der Europäischen Union (EU) und der Gruppe der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (ACP-Staaten). Bisher implementieren 29 ACP-Staaten ein solches Wirtschaftspartnerschaftsabkommen.

Befürworter der EPAs erhoffen sich von diesen Abkommen eine gesteigerte Integration der ACP-Partner in die Weltwirtschaft. Langfristig sollen sie durch Handel und gesteigerte private Investitionen zu nachhaltiger Entwicklung und Armutsreduktion führen. Kritiker bemängeln, dass die Ökonomien der ACP-Staaten durch wettbewerbsverzerrende Subventionen langfristig Schaden nehmen könnten, z. B. im Bereich der Agrarprodukte der EU. Derzeit ist es noch zu früh, um abschließend wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse zum Nettonutzen dieser Partnerschaftsabkommen bilanzieren zu können. Tatsächlich wird die Reduktion der Agrarsubventionen von vielen Experten jedoch als notwendige Bedingung für ein „faires Spielfeld“ und langfristig positive Effekte einer gesteigerten Integration in die Weltwirtschaft angesehen. In einem Bericht der UN zur Reflexion der Erreichung der ersten Auflage der MDGs aus dem Jahr 2015 werden die hohen Subventionen der entwickelten Volkswirtschaften bemängelt. Diese betrugen laut OECD im Jahr 2014 ca. 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In absoluten Zahlen sind dies ca. 250 Milliarden Euro.

Aktuelle Initiativen und die Frage nach der Höhe des Engagements

Während also die bisherige entwicklungspolitische Agenda nicht in gewünschtem Maße von Erfolg gekrönt war, stellt sich die Frage nach ergänzenden Maßnahmen und alternativen Ansätzen. Trotz intensivierter Bemühungen der entwickelten Volkswirtschaften werden immer noch relativ wenige Mittel für die Gestaltung der Entwicklungszusammenarbeit aufgewendet. So hat die Bundesrepublik Deutschland das Ziel von 0,7 Prozent des BIP für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit („Official Development Assistance, ODA“) 2016 nur erreichen können, weil die umfangreichen Leistungen für Geflüchtete in Deutschland (ca. 0,2 Prozent des BIP) miteingerechnet wurden.

Trotz dieser eher ernüchternden Zahlen ist derzeit häufiger von neuen großen Initiativen die Rede. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) berichtet z. B. von einem „Marshallplan mit Afrika“. Die Analogie zur Geschichte Westeuropas weckt hohe Erwartungen, denn der Wiederaufbau nach dem Ende des zweiten Weltkriegs durch das „European Recovery Program“ wurde mit insgesamt ca. 131 Milliarden US-Dollar (in heutigen Preisen) gefördert. Tatsächlich ist die ODA-Quote in Deutschland im Jahr 2017 noch einmal gesunken und betrug ca. 0,66 Prozent des BIP; absolut sind dies ca. 22 Milliarden Euro. Diese Mittel werden jedoch nicht allein für die Entwicklungspartnerschaften in Afrika verausgabt. Und selbst bei erheblichen Mehraufwendungen der Geberländer, ist nicht grundsätzlich evident, wie diese wirken würden.

Alternativen zum Kapitaltransfer

In den vergangenen Jahren rückte verstärkt die projektbasierte Entwicklungsarbeit in den Fokus. Hierbei werden gezielte Projekte in einem zeitlich klar definierten Umfang realisiert. So führt z.B. die Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) weltweit derzeit über 1500 Projekte mit einem Gesamtvolumen von ca. 13 Milliarden Euro durch. Viele wissenschaftlich hochwertige Evaluationen von einzelnen Projekten deuten darauf hin, dass diese Form der Entwicklungszusammenarbeit – zumindest in begrenztem Umfang – positive Effekte auf die Menschen in den einkommensschwachen Ländern hat.

Ob einzelne Projekte jedoch mittel- bis langfristig transformativen Charakter haben, ist fraglich. Hierzu müsste das bestehende Engagement deutlich erhöht werden. Komplementär zu diesen Maßnahmen sollte zudem über eine erhöhte Freizügigkeit von Personen nachgedacht werden. Viele Entwicklungsökonomen erwarten z. B. durch geregelte und sichere Migration und dem daraus resultierenden „Know-How“ sowie den Geldtransfers in die Heimatländer erheblich größere Effekte als die bisher praktizierte Form der Entwicklungszusammenarbeit. Derzeit wird die entwicklungspolitische Diskussion in Europa leider vor allem vor dem Hintergrund der Migrationsvermeidung geführt, sodass eine große liberale Wende in der Migrationspolitik eher als Utopie erscheint. Es bleibt abzuwarten, ob zukünftige Entwicklungen dazu beitragen, dass in der Frage der nachhaltigen Entwicklung Afrikas neue Lösungen in Politik und Gesellschaft forciert werden. Im Sinne der Erreichung der Entwicklungsziele für das Jahr 2030 wäre dies dringend angebracht.

Tipp

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