Zurück

Eine Krise und ihre Folgen – Corona und die Wirtschaft

Die Pandemie bringt die Stabilität der Wirtschaft ins Wanken. Branchen kämpfen mit Einbußen, Unternehmen stemmen sich gegen die Pleite. Doch es gibt auch Gewinner:innen, zeigt Wirtschaftsjournalist Andreas Schulte.

Als die chinesische Regierung wegen mehrerer Coronafälle einige Frachthäfen im Land dicht machte, sah Jörg Hensel das Unheil bereits kommen. Einen „Domino-Effekt“ nennt der Betriebsratsvorsitzende von DB Cargo das, was da im Jahr 2020 auf die Frachtsparte der Deutschen Bahn und die gesamte deutsche Wirtschaft zugerollt kam. Denn wenn die Schiffe in China nicht rechtzeitig abfahren, kommt ihre Waren auch nicht pünktlich in Deutschland an. Damit kippt der erste aus einer langen Reihe von Dominosteinen... Zuerst bringen die Verspätungen aus China die Abläufe in den deutschen Häfen durcheinander. Danach geraten die Transportunternehmen wie auch DB Cargo in Verzug. Dies wiederum hat zur Folge, dass Industrie und Handel ihre Produkte nicht rechtzeitig erhalten. Geschäfte und Fabriken können also weniger produzieren und verkaufen.

Dienstleister wie DB Cargo bringt eine derart gestörte Lieferkette aus der Balance. Die Fahr- und Dienstpläne geraten durcheinander. Während der Pandemie fuhren nur drei von vier Güterzügen pünktlich – mit weitreichenden Folgen. Denn Lkws mit kleineren Frachtflächen können flexibler auf Terminänderungen reagieren. „Deshalb verliert die Schiene so manchen Auftrag an Speditionen“, sagt Hensel.

Und das ist nur der finanzielle Coronaschaden. Denn um Aufträge zu erledigen, müssen Mitarbeiter:innen wie zum Beispiel Lokführer:innen nun kurzfristiger einsatzbereit sein und Überstunden in Kauf nehmen. „Unsere Mitarbeiter sind natürlich sauer. Viele sind frustriert. Die Stimmung wird immer schlechter“, sagt Hensel. Dabei fehlt DB Cargo schon jetzt Personal.

Nicht nur Jörg Hensel sorgt sich um sein Unternehmen. Ob durch gestörte Lieferketten wie bei DB Cargo, durch Lockdowns oder aufgrund von Kontaktbeschränkungen: Fast jede Branche in Deutschland bekommt die Coronakrise auf die eine oder andere Weise zu spüren – die meisten negativ.

Zahlen des statistischen Bundesamtes in Wiesbaden belegen dies. Zwar ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2021 um 2,7 Prozent gewachsen. Doch der Wert aller Güter und Dienstleistungen, die in einem Jahr innerhalb einer Volkswirtschaft erwirtschaftet werden, war 2020 bereits um 4,6 Prozent gegenüber 2019 zurückgegangen. Auch der private Konsum leidet. So sind nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft seit Beginn der Pandemie einschließlich des ersten Quartals 2021 rund 200 Milliarden Euro an Konsumausgaben verloren gegangen .

Der Staat als Unternehmensretter

Manch eine Branche traf es so hart, dass die Unternehmenslenker:innen über ein Minus von rund fünf Prozent noch gejubelt hätten. Veranstalter:innen von Events, Messen und Konferenzen etwa konnten ihren Tätigkeiten zeitweilig nicht nachgehen. Kulturschaffenden fehlt bis heute ein Großteil ihre Konzerte und Theateraufführungen. Beide Gruppen unterstützt der Staat finanziell.

Der Luftverkehr musste nach Branchenangaben 2020 die größten Einbrüche seit Jahrzehnten verkraften: Rund 57,8 Millionen Fluggäste starteten oder landeten auf den 24 größten Verkehrsflughäfen in Deutschland – das waren 74,5 Prozent weniger als im Jahr 2019. Der Grund: Zahlreiche Regierungen hatten Reisebeschränkungen erlassen, um die Ausbreitung der Pandemie einzudämmen.

Die deutsche Fluggesellschaft Lufthansa flog fast in die Pleite und baute während der Krise gut 30.000 Arbeitsplätze ab. Im Mai 2020 musste der Staat dem Konzern mit einer Finanzspritze von neun Milliarden Euro unter die Arme greifen. Ende 2021 zahlte die Lufthansa das viele Geld zurück. Konzernchef Carsten Spohr bedankte sich zu diesem Anlass bei der Bundesregierung. Mithilfe der Unterstützung habe man mehr als 100.000 Arbeitsplätze erhalten können.

Auch kleinere Firmen als die Lufthansa sind durch Reise- und Kontaktbeschränkungen in Schieflage geraten. Wenn Flugzeuge weniger Reisende befördern, dann bleiben auch Hotel- und Restaurantgäste aus. Der Umsatz im Gastgewerbe brach im ersten Halbjahr 2021 im Vergleich zum Vorkrisenjahr 2019 um 62,3 Prozent ein. Drei von vier Gastronomiebetrieben fürchten derzeit, dass sie für immer schließen müssen, schreibt der Branchenverband Dehoga. Von den insgesamt gut eine Million Menschen, die im Pandemiejahr 2020 ihren Job verloren, traf es allein 398.000 im Gastgewerbe. Das geht aus Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hervor.

Weniger Stellen für Azubis

Die Kündigungen im Gastgewerbe könnten sich im Hinblick auf ein Ende der Pandemie rächen. Denn viele Beschäftigte sind aus der Gastronomie in anderen Branchen untergekommen. Nun aber wollen Gastro-Betriebe wieder Beschäftigte einstellen. „Vor 18 Monaten wurden wir wegen Corona zugemacht, jetzt haben wir ein Riesenproblem beim Personal“, sagt Mathias Johnen, Vize-Geschäftsführer der Dehoga-Nordrhein. Vier von fünf Gastrobetrieben klagten laut einer Dehoga-Umfrage im Herbst 2021 über Personalnot. Viele Wirte haben daher ihre Öffnungszeiten verkürzt.

Unter anderem fehlen Azubis – nicht nur in der Gastronomie. Andere Branchen zögern angesichts der unsicheren wirtschaftlichen Lage bei Neueinstellungen. Das Angebot an Ausbildungsstellen lag 2021 bei 536.200. Das sind mehr als 40.000 weniger als vor der Krise. Die Bundesregierung hat daher die Prämien für Ausbildungsbetriebe Mitte 2021 erhöht.

Krise als Wirtschaftsturbo

Ausbildungsplätze gehen verloren, Unternehmen kämpfen gegen die Pleite, Beschäftigte stehen ohne Job da. Kennt die Krise angesichts der vielen negativen Auswirkungen auch Gewinner:innen? Der Onlinehandel zählt sicher zu ihnen. Wegen der Lockdowns kauften die Kund:innen seltener im stationären Handel ein. Im Jahr 2020 konnten Onlinehändler:innen wie etwa Amazon ihre Umsätze laut Branchenangaben um 23 Prozent gegenüber dem Vorjahr steigern. Im November 2021 lagen die Online-Umsätze sogar mehr als 30 Prozent über dem Niveau des Vorkrisenmonats Februar 2020. Zuletzt spielte dem Internethandel zudem die im stationären Handel eingeführte 2G-Regel in die Hände. Demnach dürfen nur Geimpfte Läden betreten. „Das ist noch einmal ein Riesenschub, um die letzten Kunden, die noch nicht im Internet einkaufen, dem Onlinehandel zuzuführen“, kommentierte der Handelsexperte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein das Weihnachtsgeschäft.

Während Onlinehändler:innen vor allem den Fachgeschäften und Warenhäusern der Innenstädte Marktanteile abrangen, konnten stationäre Supermärkte Boden gut machen. Denn mehr Menschen aßen im Lockdown zuhause, statt in Lokalen und Kantinen. Auch Lieferdienste, die Waren bis an die Wohnungstür bringen, konnten ihre Umsätze kräftig steigern. Und schließlich legten Baumärkte deutlich zu, mit deren Sortiment Kund:innen ihr Zuhause für triste Pandemietage aufhübschten.

Abseits des Handels zählen viele IT-Unternehmen zu den Profitierenden. Denn die Pandemie hat auch gezeigt, dass Digitalisierung helfen kann, die Krise zu überwinden. So haben etwa Videodienste wie Zoom oder Skype das Homeoffice erst in großem Maßstab ermöglicht. Vier von fünf Unternehmen bieten ihren Mitarbeiter:innen mittlerweile die Möglichkeit zur Arbeit in den eigenen vier Wänden an. So sollen auch weiterhin Kontakte und Ansteckungen in Büros vermieden werden.

Dennnoch lastet die Pandemie auf der Wirtschaft, wenngleich die Talsohle wohl durchschritten ist und ein neuerlicher Lockdown eher unwahrscheinlich erscheint. Auch sind langfristige Folgen wie Lieferengpässe und der damit verbundene Materialmangel noch nicht überwunden. Die Wirtschaft befindet sich aber auf Erholungskurs. Für 2022 gehen führende Forschungsinstitute von einem Plus beim BIP von rund 3,5 Prozent aus.

Tipp